Archiv der Kategorie: reloaded

Gute Daten, böse Daten – Kontrollverlust als Kontextverschiebung

Letztens bin ich wieder über den „Skandal“ um Daniel Cohn-Bendits Äußerungen gestoßen, die er 1975 in seinem Buch „Der große Basar“ über die Sexualität von Kindern gemacht hatte. In dem Buch findet sich die Schilderung von erotischen Erlebnissen, die er angeblich als Betreuer in einem alternativen Kindergarten hatte. Später hat er diese Passagen als rein provokative Erfindung abgetan. (Die provokative Koketterie mit pädophilen Gefühlen war damals im Rahmen der „Sexuellen Revolution“ nicht unüblich) Als die Aussagen gemacht wurden, waren sie ohne Frage eine Provokation. Sicher rüttelten sie auch an einem Tabu. Skandalisierungsfähig waren sie allerdings nicht. Das Buch, in dem sie geäußert wurden, wurde prominent besprochen, auch und gerade vom konservativ-bürgerlichen Lager. Und der Aufschrei war groß – wegen vieler Passagen, Werte und politischen Bekenntnissen – aber nicht wegen des Absatzes zur kindlichen Sexualität.

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Vortrag/Telepolis: Die gesellschaftliche Singularität ist nah

/******* Letztes Wochenende war die Openmind Konferenz der Piraten. Ich war wieder dabei und habe einen ersten Entwurf einer – ich sag mal Utopie der Queryology – abgeliefert. Der Text zum Vortrag wurde, neben anderen Vorträgen der Konferenz – auch von Telepolis veröffentlicht. *******/ Thesen über die Anpassung der Gesellschaft an das Computerzeitalter Ich komme gerade aus Hannover, wo ich aufgewachsen bin. Quasi direkt aus meinem Elternhaus. Wenn ich zurückdenke – und das passiert, wenn man in seinem Elternhaus ist bisweilen – an meine Jugend, an mein altes Ich in meiner alten Welt, dann ist davon nicht viel übrig geblieben. Es war ein komplett anderes Lebensgefühl, ein anderes Bewusstsein von Welt und Zeit, in dem wir lebten. Wir telefonierten selten und nur kurz, weil das ja teuer war. Wir riefen aber keine Menschen, sondern Haushalte an. Und wenn der Mensch nicht im Haushalt war, hatten wir Pech gehabt. Es gab keinerlei kommunikativen Zugriff auf jemanden, der sich außerhalb seiner vier Wände aufhielt. Zunächst 3 Kanäle. Später kamen RTL und Sat1 hinzu. Und bald noch ein Kanäle mehr. Das war unser Fenster zur Welt. Die intensivste Form der Kommunikation war das Reisen. Wenn man mit seinem Wissen und seinen Gewohnheiten in … Weiterlesen

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Das politische Denken der Piraten

Die Piratenpartei ist mit einem sensationellen Erfolg in den Berliner Landtag eingezogen. Journalisten und Politiker stehen vor einem Rätsel. Ihre Deutungsversuche gehen von „Protestpartei„, „neue FDP“ bishin zur es sich bequem machenden „Einthemenpartei„. Sie versuchen gar nicht die Piraten zu verstehen, sondern nur die passende Schublade für sie zu finden. Dass die Piraten einen eigenen originären Politikansatz haben könnten, scheint niemand in Betracht zu ziehen. Doch wenn man sich den Wahlkampf genau ansieht, dann wundert man sich, dass kaum eines der Klischees über die Piratenpartei erfüllt wird. Wo bitte waren die Piraten eine „Einthemenpartei„? Netzpolitik kommt beispielsweise in dem Wahlprogramm der Piraten kaum vor. Außer der Forderung nach einem flächendeckenden W-Lan war dazu nicht viel zu finden. Warum auch? Netzpolitik ist schließlich nur sehr selten Ländersache. Und auch der Rest des Programms lässt sich kaum in eine klassische politische Richtung verorten. Wäre die FDP etwa für Marihuanalegalisierung, den Fahrscheinlosen Personennahverkehr und gegen Studiengebüren? Sind besserer Zugang zu Bildung und stärkere Trennung von Staat und Kirche etwa Themen mit denen eine Protestpartei auf Stimmenfang gehen würde?

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Abstact: Derrida, Foucault und der Kontrollverlust

/************ An meiner alten Uni in Lüneburg findet nächstes Jahr vom 2. bis 4. Februar das Symposion des DFG: „Soziale Medien — Neue Massen“ statt. Ich hatte mich auf den Call for Papers beworben, habe aber heute leider eine Absage bekommen. Eigentlich wollte ich mich die nächste Zeit tiefer in die Thematik stürzen, die ja eigentlich mein Doktorarbeitsthema ist und dafür sind Vortragsdeadlines bei mir die effektivste Methode. Schade. Ich hoffe, ich werde die Motivation von irgendwo anders her aufbringen. Hier jedenfalls das Abstract, das ich eingereicht habe: ************/ Derrida, Foucault und der Kontrollverlust Die poststrukturalistischen Abgründe des Internets Im letzten Jahr hat sich der Begriff „Kontrollverlust“ für die teilweise dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen etabliert, die sich durch das Internet ereigneten. Die Regierungen verlieren durch Plattformen wie Wikileaks die Kontrolle über ihre Geheimnisse, die Kulturindustrie verliert durch Piraterie die Kontrolle über ihre Distributionswege und Unternehmen verlieren durch das demokratisierten Sprechen im Netz die Kontrolle über ihre Markenkommunikation. Nicht zuletzt verlieren wir alle die Kontrolle über unsere Daten, die längst frei im Internet flottieren, manchmal gewollt, oft ungewollt. Ohne die Evidenz dieser Beobachtung in Frage zu stellen, halte ich es für geboten, dieser angeblichen Kontrolle, die da verloren geht, auf den Grund … Weiterlesen

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Die Query und die Krise des Archivs

/******* Die Queryology – so sehr sie als Ansatz zur Erklärung vieler Phänomene in der heutigen Zeit taugt – wurde zuletzt theoretisch etwas unterbestimmt gelassen. Es blieben Fragen offen. Was genau sind die Mechanismen der Query? Wo kommt sie her, was ist ihre Geschichte? Was ist ihr Ort auf der Welt und zwar unabhängig von der Erfindung des Computers. Die Queryology muss einen gewissen Universalanspruch für sich reklamieren, das heißt, sie darf sich nicht darauf beschränken, Einzelphänomene zu einer bestimmten Zeit zu erklären, sondern sie muss auch auf den ganzen Rest, den wir Welt nennen, antworten können. In diesem Text versuche ich, diesem Anspruch ein wenig gerechter zu werden. *******/ Man stelle sich vor, man hat hat einen Stein. Es ist kein Stein, wie jeder andere, sondern ein besonderer Stein. Schön, glatt, schimmernd und irgendwie geheimnisvoll. Was tut man damit, wenn man ihn nicht die gesamte Zeit mit sich herumtragen will? Man legt ihn ab. An eine Stelle, wo man glaubt, dass man ihn wieder findet. Speichern hat immer mit einer Handlung in der Zukunft zu tun. Man speichert etwas an einer Stelle, wo man in einer zukünftigen Zeit wieder darauf kommt, wenn man sich fragt: „Wo habe ich den … Weiterlesen

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Wikileaks Kontrollverlust

Stehe! Stehe! Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemessen! – Ach ich merk es, wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Johann Wolfgang von Goethe: Der Zauberlehrling In meinem ersten Artikel über Wikileaks schrieb ich: Der Kontrollverlust hat einen Kulminationspunkt gefunden: Wikileaks. Wikileaks ist für den Kontrollverlust das, was die New York Times für den Journalismus war ist. Die wichtigste Institution und das Paradebeispiel seiner Funktionsweise. Kein Monopol, aber ein Sinnbild. Und ja, mit und durch Wikileaks lässt sich das Phänomen „Kontrollverlust“ gut erklären, deswegen tue ich das immer wieder. Und auch diesmal haben die Jungs um Julien Assange ein weiteres Lehrstück inszeniert und dabei eine weitere Erkenntnis bewiesen: Wikileaks hat gezeigt, dass der Kontrollverlust kein Subjekt und kein Objekt kennt und vor allem, dass er keine Metaebene hat. Es gibt kein Außerhalb des Kontrollverlusts. „Ein Kontrollverlust entsteht, wenn die Komplexität der Interaktion von Informationen die Vorstellungsfähigkeiten eines Subjektes übersteigt.“ (via) Ein Kontrollverlust ist immer ein notwendig subjektiver, wenn auch kein ausschließlich menschlicher. Aber es braucht einen Akteuer (oder Akteure), Leute die handeln, die kommunizieren und die glauben, Herr dieser kommunikativen Handlungen zu sein.

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Filtersouveränität um 1921

Die Antwort des Bibliothekars Lohse gegenüber Bestrebungen aus Preußen, Bücher nach Qualitätsmaßstäben aus seiner Bibliothek in Kiel auszusortieren: Der individuelle Wert jedes Buches pflegt nach dem Gewicht der geistigen Leistung bemessen zu werden, die ihm zugrunde liegt, und da unter diesem Gesichtspunkte die Skala nach oben wie nach unten unbegrenzt ist, so kann die Abschätzung allerdings oft genug bis zum Prädikat völliger Wertlosigkeit herabsinken. Anders ist es, wenn man erwägt, daß ein jedes Buch – im weitesten Sinne des Wortes – auch als historisches Dokument betrachtet werden kann und, sobald es dem Bestande einer Bibliothek angehört, auch betrachtet werden muß. Als solches besitzt es zumindest einen relativen Wert, der sinken, steigen, latent bleiben und anscheinend sogar völlig verschwinden kann, der aber alsbald hervortritt, sobald man es unter einem bestimmten Gesichtspunkt […] ansieht […]. Schon unter diesem Aspekt kann das an sich Unbedeutendste und Wertloseste Wert und Bedeutung gewinnen […] Demzufolge wird es geradezu als Pflicht jeder öffentlichen Bibliothek zu betrachten sein, ihren gesamten Bücherbestand […] ungeschmälert zu erhalten. Gefunden in einer Fußnote in: Nikolaus Wegemann: Bücherlabyrinthe, S. 144. PS: Eine Stelle eines Briefes, gewiss, den der brave Herr Lohse an die preußische Zentralbibliothek sendete, die ein Archiv aufnahm. Ein Zitat, … Weiterlesen

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Warum wir Dinge ins Internet schreiben

Ohne den Inhalt des Buches von Jeff Jarvis abzuwarten, will ich ein paar mögliche Antworten auf die Frage in den Raum werfen, warum wir Dinge ins Internet schreiben. Anlass ist diese schöne Debatte hier auf Google Plus, die sich wiederum auf diesen Artikel von Frank Schirrmacher bezieht, der einen etwas doofen Titel und am Ende eine entsprechende Forderung hat, aber bis dahin eine interressante Auseinandersetzung mit Internet und dem gesellschaftlichen Gedächtnis bietet. Nur eines kam mir sowohl in dem Artikel, als auch in der Diskussion zu kurz: Wenn es so ist, dass wir Menschen immer mehr Informationen in das Internet externalisieren, dann hat das einen Grund. Oder zwei, oder drei. Wir scheinen einen Nutzen zu ziehen und einen Sinn darin zu sehen, sonst würden wir das ja nicht tun. Einige Antworten, die mir im Laufe der Zeit eingefallen oder mir zugeflogen sind, will ich hier aufzählen:

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Channels statt Circles: Google+ reparieren

So langsam hat sich die Euphorie über Google+ gelegt und alle sind sauer. Das ist gut so. Vor allem wegen der Realname-Policy, als auch wegen der vielen kleineren Macken und Nervereien wird überall rumgemosert. Und ich will dabei mitmachen. Ich saß heute im Studio von Dradio.Wissen und habe mit Jürgen Kuri, Don Dahlmann und Anne Roth über die Probleme und Vorzüge von Google Plus gesprochen. Anhören kann man sich das hier, runterladen dort. In Vorbereitung der Sendung, aber nicht nur deswegen, habe mich mir darüber Gedanken gemacht, was mich alles so stört. Neben der Realname-Policy sind es noch einige andere Dinge, die mir schon nach so kurzer Zeit übel auf den Senkel gehen. Weil ich vieles an Google+ aber mag und weil ich an die grundsätzliche Vernunft von Google und ihren Willen glaube, ein tolles Produkt zu machen, wage ich es zu hoffen, dass es sich derzeit noch lohnt, laut zu meckern. Ich tue das, wo ich nur kann und eben auch hier, mit ein paar konstruktiven Verbesserungsvorschlägen.

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What about us? – Die Antiquiertheit des „Humanisten“

„What about us? What about us? We are alive! And this is a celebration of life. This is a commitment for a truly human future.“ Diese Worte ruft die Animateurin in Spielbergs Film A.I. Artificial Intelligence der grölenden Menge in einem Amphitheater der Zukunft zu. Die Show um die es geht, ist eine rituelle Zerstörung von Robotern. Mit Säure, durch Feuer oder per Kanone durch einen Ventilator geschossen werden die Roboter möglichst grausam öffentlich entsorgt. „What about us?„. Bei Rassismus geht es immer auch um eine gefühlte Demütigung. Der beste Talk auf der Next11 war übrigens mit Abstand der von Kevin Slavin: Algorithms That Govern Our Lives. Ein Talk, der nicht nur rhetorisch, sondern auch inhaltlich überzeugte und den ich jedem an’s Herz legen will: Das, was Slavin vorträgt ist inhaltlich nicht ganz neu, aber durchaus überzeugend dargelegt. Wir kennen diese Position. Wir kennen sie in Deutschland von Frank Schirrmacher aber vor allem von David Gelernter, Jaron Lanier und vom späten Joseph Weizenbaum und vielem anderen. Die Algorithmen übernhemen immer größere Bereiche dessen, was einst das Entscheidungsterritorium des Menschen war. Und das sei gefährlich.

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