Facebook, der Privacy-Leviathan

Die Veränderungen, selbst die radikalsten, beginnen immer im kleinen. Und ich würde über keine dieser Umwälzungen schreiben, wären sie nicht in ihrem Keim schon beobachtbar. Denn das, was die Menschen tun, tun sie vielleicht unreflektiert, aber sie geben damit Tendenzen an, die viel über die unterschwelligen Machtverschiebungen aussagen, die in Zukunft eine Rolle spielen.

Beispielsweise die Datenschutzforderungen gegenüber Facebook und co. Derzeit wieder neu auf dem Buchmarkt geschmissen, unter dem Titel „Die Facebookfalle“ von Sascha Adamek.

<*großer Seufzer*>

Facebook sammelt Daten, die man ihm gibt und klar, reichert es sie statistisch an. Um Werbung anzuzeigen. Sie geben Partnern Zugriff auf die Daten, um ebenso Werbung anzuzeigen oder Features zu ermöglichen. Mehr nicht. In der Reihe, der Unternehmen, die potentiell oder real an Informationen von Nutzern herankommen, ist kein einziges dabei, das mit einer Keule auf irgendwen einschlagen wird oder eine Sklavengalere betreibt, auf der wir rudern müssen, weil wir den falschen Filmgeschmack haben. Dass Regierungen an solche Unternehmen herantreten und diese Daten tatsächlich gegen uns verwenden können, ist zwar richtig, aber Facebook dafür zu kritisieren ist so sinnvoll wie das Beschimpfen eines Raubopfers nach dem Diebstahl. Ich frage mich also regelmäßig, was diese Gekreische eigentlich soll. Aber satt mich hier wieder aufzuregen, versuche ich diese Prozesse mal zu verstehen.

</*großer Seufzer*>

Es ist interessant, wie selbstverständlich die Leute den Datenschutz, der ein berechtigtes Abwehrrecht gegen den Staat bedeutet, nun auf Unternehmen wie Facebook projizieren. Es ist, als ständen sie Facebook eine Art Gewaltmonopol zu, wie dem Staat. Es ist ersichtlich, warum man nicht vom Staat ausgehorcht werden will. Der Staat kann einem das Leben zur Hölle machen, wenn ich bestimmten normativen Kriterien nicht entspreche. Er kann mich in’s Gefängnis sprerren und all meine Hab und Gut konfiszieren. Aber nichts davon kann Facebook und nichts davon will Facebook überhaupt können. Wozu also all die Aufregung?

Eine Antwort auf die Frage, warum die Menschen in Facebook eine Art Zwilling des Staates sehen, liegt in den Datenschutzforderung an Facebook selbst verborgen. Denn an Facebook wird ja nicht nur gegenüber sich selbst Datenschutz eingefordert, sondern soll auch die Daten der Nutzer untereinander schützen. Es soll bitte verhindern, dass Tante Agata sieht, wie ich kiffe und es soll verhindern, dass meine Freunde sehen, wie ich Tante Agata auf dem Waldspaziergang begleite. Die Forderung ist, dass Facebook mir Einstelloptionen bieten soll, mit denen ich meine Informationsströme dezidiert und kleinteilig kontrollieren kann. Das ist zumindest ein Hinweis auf drei Dinge:

1. Die allgemeine Erkenntnis, dass der normative Rahmen meiner Unfreiheit zu einem nicht geringen Teil sozial – gar mirkrosozial – gesteckt wird, scheint sich durch Facebook zu verbreiten. Es sind eben nicht nur die klassisch normativen Kräfte „Staat“ und „Arbeit“, sondern auch mein direktes soziales Umfeld, das mich in eine Rolle steckt, in der ich zu funktonieren habe und die mich in meiner persönlichen Freiheit einschränkt. Und das schlimme: diese unterschiedlichen Rollen sind inkompatibel untereinander. Das ist ansich keine neue Erkenntnis, aber durch die im Digitalen vorherrschende „Transparenz by default“ wird sie nun für jeden erfahrbar. Und das macht einen gewaltigen Unterschied.

2. Diese erlebbare Erkenntnis darüber, dass der Mensch dem Menschen ein Grenzensetzer ist, lässt erst den Ruf nach dem „Privacy-Leviathan“ erschallen. „Facebook, beschütze uns vor unseren Friends!“ Dabei spielen die Privacy-Features eben jene Rolle, die die Gesetze in der Gesellschaft spielen. Sie Regeln den Umgang der Menschen miteinander, der ohne sie scheinbar zu vielen Reibereien führen würde. Indem mir Facebook die Möglichkeit gibt, bestimmte Leute von bestimmten Daten auszuschließen, übertrage ich Kontrollmacht an die von Facebook bereitgestellten Strukturen.

3. Was bei Facebook, genauso wie durch Gesetzgebung beim Staat, zu dessen Machtlegitimation gegenüber seinen Nutzern führt. Der Machtgewinn von Facebook durch die Privacyfeatures ist beträchtlich. Da diese Features von Facebook gegeben sind und wieder genommen werden können und weil sich jeder auf Facebook diesen Strukturen unterwerfen muss, hat Facebook die absolute Kontrolle über alle zugangsbeschränkten Kommunikationen seiner Plattform. Ich kann nur das bedingt freigegebene Bild von Tante Agate ansehen, wenn ich 1.) Facebooknutzer bin und 2.) Tante Agates Privacykriterien entspreche. Facebook reguliert so den Zugang zu einem riesigen Meer von Daten und zwingt jeden, der daran partizipieren will, sich seiner gesamten Policy zu unterwerfen. Im Gegensatz übrigens zu Twitter oder Blogs, wo fast alle relevanten Information öffentlich zugänglich sind.

Es ist das „Teile und Herrsche“-Prinzip. Erst indem sich Facebook zur Plattform der Datenherrschaft seiner Nutzer macht, gewinnt es seine Macht. Eine zunehmend unheimliche Macht. Aber eine Macht, die eben nicht in dem schlichten Hosting privater Information begründet liegt, wie es die meisten unreflektiert krakeelen, sondern in der Regulierung des Zugangs zu ihnen durch die Privacy-Features.

Ich will dabei gar nicht Facebook böse Absichten unterstellen. Ich glaube tatsächlich nicht, dass Facebook diese Rolle gerne ausfüllt. Aber es ist nun mal die Rolle, in die seine Nutzer es drängen. Und zwar allen voran seine schärfsten Kritiker. Die Machtakkumulation, die Facebook dadurch erfährt, ist langfristig erdrückend. Und ich persönlich empfinde diese Tendenz als die eigentliche Gefahr, die eigentliche „Facebookfalle„, die hier entsteht.

Wer sich Facebook unterwirft kann zumindest keine englischen Schimpfwörter in Chats benutzen. Der kann keine Bilder von sich hochladen, die irgendwer, irgendwo anstößig findet. Der ist verpflichtet sich dem Realnamendiktat von Facebook zu beugen, usw. Facebook hat einen gewissen Hang zur Gängelung seiner Nutzer, den ich persönlich als extrem unangenehm empfinde. Ja, sogar gefährlich.

Und machen wir uns nichts vor: die soziale Gravitation von Facebook ist immens. Ich persönlich konnte mich nicht mehr dagegen erwehren, weil ich tatsächlich an für mich wichtigen Informationsströmen nicht mehr partizipieren konnte und bin zu Facebook zurückgekehrt. Andere haben da zwar ein dickeres Fell, aber die Lage spitzt sich zu. Die Gesellschaft hat sich nun mal für eine Plattform der Kommunikation entschlossen, wer sich sträubt, isoliert sich zunehmend. Das war bei der Verbreitung von Handys nicht anders.

Ich halte es deswegen für umbedingt notwendig, sich mit Plattformen wie Facebook gesellschaftlich und politisch kritisch auseinanderzusetzen. Aber das sollte man bitte mit etwas Verstand tun. Man sollte eben nicht versuchen, seine tradierten Wertvorstellungen in neue Systeme wie Facebook reinzuprügeln, sondern sich auf die Technik einzulassen und die Machtstrukturen, die entstehen, vorurteilsfrei und kritisch zu beobachten. Das bedeutet auch, seine eigenen Wertpräferenzen kritisch zu hinterfragen, bevor man sie auf die neue Welt mappt. Eine Übung, die ganz offensichtlich den wenigsten leicht fällt.

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