Plattformen II – Infrastruktur und Kontrolle

Ein neuer Heilsbringer ist am Netzgemeindenhorizont erschienen. Nach Status.net, Diaspora und Zurcker soll uns nun also APP.net aus den Fängen all der pösen Facebooks, Googleplusses und Twitters befreien.

Der Gründer Dalton Caldwell initiierte das Projekt gewissermaßen mit einem Rant über die zunehmende Geschlossenheit der Twitterplattform. Twitter, einst vorbildlich offen nach innen wie nach außen, hat ein enormes Ökosystem um sich herum geschaffen, mit vielen externen Dienstleistern und einer ganzen Reihe von Drittanbietersoftware. Doch seit die Entscheidung zur Werbung als Geschäftsmodell gefallen ist, zieht Twitter die Mauern hoch, exkommuniziert Drittanbieter per API und sperrt die Inhalte seiner Nutzer immer weiter ein.

Wenn du für das Produkt nicht zahlst, bist du das Produkt„. Diese gebetsmühlenhaft wiederholte Weisheit scheint sich ein weiteres Mal zu bestätigen. Das Rezept dagegen ist so einfach wie die Analyse, jedenfalls nach Caldwell: man muss dann eben für den Service zahlen, dann ist man der Kunde, kein produkt mehr, dann wird man gehört. Und so sammelt er für seinen Dienst im Vorfeld Geld (bald 1 Mio Dollar) und will auch nach dem Launch die Nutzer zur Kasse bitten.

Ich will den Ansatz nicht vorschnell niederreden, aber angesichts der langen Geschichte der vermeintlichen Erlöser ist Skepsis durchaus angesagt. Davon abgesehen, dass die Netzwerkeffekte von Facebook und Twitter ein derart starken LockIn erzeugen, dass sich die Nutzer so schnell nicht dort wegbewegen lassen, ist es überhaupt fraglich, ob das Bezahlprinzip von sich aus bereits eine Verbesserung für die Nutzer bringt. Ich fühle mich beispielsweise von meinem DSL- und auch Mobil-Provider nicht wesentlich besser behandelt als von Facebook und Twitter. Eher im Gegenteil. Warum sollte ich mich darauf verlassen, dass mir 10 Euro pro Monat eine Vorzugsbehandlung bringen, die mir bei anderen Infrastrukturanbietern auch für mehr Geld nicht gewährt wird?

Aber egal, ob App.net nun hält, was es verspricht oder nicht: das adressierte Problem ist real und verfolgt uns nicht erst seit gestern. Es ist ein generelles Problem, mit dem Plattformen zu schaffen haben, die sich einerseits als Mittelpunkt eines Ökosystems etablieren, aber sich andererseits auf Dauer nicht leisten können, zur reinen Infrastruktur zu verkommen. Dieses Problem scheint ein zentrales im Internet zu sein und die Grundlage dessen zu bilden, was ich mit der Plattformneutralität zu lösen versuche. Im ersten Teil der Plattformenreihe habe ich versucht zu umreißen, was das inhärente Innovationspotential von Plattformen ausmacht. Hier möchte ich nun auf die plattforminternen Kräfte eingehen, die dieses Innovationspotential wieder gefährden und somit überhaupt die Forderung nach Plattformneutralität virulent machen.

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Wenn man den Werdegang von Twitter betrachtet, dann fällt auf, wie Nutzer und Kommentatoren die Offenheit der Plattform in seinen Anfangstagen bejubelten und als zentralen Erfolgsfaktor des Dienstes ausmachten. Die API, die alle Funktionen zum In- wie Output umfasste und für alle zur freien Verfügung stand, erschuf recht schnell einen zweiseitigen Markt. Sie zog Entwickler an, die externe Dienste und Clients für allerlei Geräte und Betriebssysteme schufen, was die Plattform wiederum attraktiver für die Nutzer machte. Das Timing des Starts – etwa zeitgleich mit der Smartphonerevolution – machte Twitter schnell auf allen mobilen Geräten verfügbar und machte ihn zum ersten erfolgreichen mobilen Internetdienst. Zudem boten externe Dienstleister Analysetools und zusätzliche Features für den Dienst an, ohne dass Twitter diese selbst entwickeln musste. Die Attraktivität als Entwicklerplattform erhöhte die Attraktivität für die Nutzer und umgekehrt.

Diese Designentscheidung zur Offenheit in der Anfangsphase schuf ein Ökosystem für den Nutzer, das den Dienst selbst komplett in den Hintergrund treten ließ. Die Oberfläche, auf der ich meine Tweets lese, ist der Client, den ich mir aus einer großen Auswahl aussuche (Twitter ist ein sehr gutes Beispiel für das enorme Innovationspotential, dass ubiquitäre Plattformen entfalten können). Die Tweets, die ich lese, kommen von Leuten, die die Twitterwebsite nur noch aus der Erinnerung kennen. Twitter wurde zur reinen Infrastruktur, so wie das Internet selbst – TCP/IP – ein weiteres Protokoll zur Übertragung von bestimmten Daten – in diesem Fall Tweets.

Lange stand die Frage im Raum: wie verdient man Geld mit sowas? Will man Werbung schalten, dann braucht man den Zugang zum Nutzer. Doch der sitzt oft nicht hinter der Twitterwebsite, sondern dank der API hinter seiner Clientsoftware von irgendeinem Anbieter. Banner erreichen ihn nicht und selbst wenn man ihm per Protokoll Werbetweets unterschieben möchte – gute Clientsoftware könnte die ausblenden. Und während in all der Zeit allerlei Unternehmen durch Twitter Geld verdienten – z.B. Favstar oder die meist kostenpflichtigen Clientanbieter – stellte Twitter mit einem Mal fest, wie es sich selbst um die Möglichkeiten amputiert hatte, die Inhalte zu kontrollieren und somit Geld zu verdienen.

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Infrastruktur und Kontrolle – zwischen diesen beiden Optionen muss jeder Dienst seine Ballance finden. Facebook hat zwar immer noch die Kontrolle über die Plattform, weil sie selbst die Clients entwickeln, doch auch sie verdienen zum Beispiel kaum Geld auf Mobiltelefonen. Einer der Hauptgründe für den vermehrten Zweifel der Analysten an der Zukunft der Plattform. Megaupload hingegen will sich seit seiner Hochnahme damit herausreden, lediglich Infrastruktur gewesen zu sein und keine Kontrolle über die von Nutzern hochgeladenen Inhalte zu haben. Eventuell wird ihnen nun die erfolgreiche Bereinigung der Plattform von Kinderpornographie zum Verhängnis (Wenn die es schaffen, das zu bereinigen, warum dann nicht auch alle anderen illegalen Inhalte?). Google hingegen kann durch die Integration der Werbeanzeigen mitten in den Suchergebnissen kaum verlieren. Sie haben viel dafür getan, nicht nur den besten Dienst anzubieten, sondern auch die Nutzerinteraktion zu kontrollieren. Ein minimalistisches, funktionales Design der Suchoberfläche von Anfang an, die Schaffung eigener attraktiver vorgelagerter Interfaces durch die Entwicklung von Android und Chrome, etc. Googles Geschäftsmodell sitzt auch durch den direkten Kontakt zum Nutzer fest im Sattel.

Oder etwa nicht?

Als Apple den Sprachassistenten Siri herausbrachte, war das ein gefährliches Signal Richtung Google. Siri kombiniert unterschiedliche Onlinedienste, um seinen Anwendern Fragen zu beantworten. Neben der semantischen Wissenssuchmaschine Wolfram Alpha und ein paar anderen Diensten implementiert Siri eben auch Google. Das alles ist noch nicht an sich bedrohlich. Aber sollten Siri (und ihre Schwestern) eines Tages zum bevorzugten Nutzerinterface auf Smartphones werden, würde Google die Kontrolle über den Nutzerzugang verlieren. Google würde augenblicklich zum Backend, zur reinen Infrastruktur degradiert.

Das Schicksal jeder erfolgreichen Plattform, ist, dass sich irgendwann eine Plattform vor ihr/über ihr positionieren wird. Eine Plattform, die die eigenen Leistungen wiederum in ein größeres Leistungsspektrum integriert und aggregiert und diese somit abstrahiert. Und wenn diese neue Plattform dann Erfolg hat, wird die eigene durchgereicht, zur nur noch funktionalen Instrastruktur. Das tut weh, das kostet Geld und Einfluss, das will keiner. Und doch ist es Lauf der Dinge im volatilen und sich immer vertikal weiterentwickenden Markt des Internets.

Die Gegenbewegungen, die diese Entwicklung dann hervorrufen sind hingegen gefährlich für Freiheit des ganzen Internets. Seien es die Provider, die durch Aufhebung der Netzneutralität wieder mehr Kontrolle über die Inhalte und damit Einnahmemöglichkeiten herstellen wollen, seien es Twitter und Facebook, die durch ihre Einmauerung neue Geschäftsfelder explorieren oder alte beschützen, oder eben die deutschen Verlage, die sich durch das Leistungsschutzrecht gegen die freie Aggregation und damit externen Vermarktbarkeit ihrer Inhalte zur Wehr setzen wollen. Und wer weiß: falls Siri mal erfolgreich wird, wird Google vielleicht auch für ein Leistungsschutzrecht für Suchmaschinen lobbyieren?

An dieser Stelle muss man wohl eingestehen, dass Plattformneutralität und Geschäftsmodelle (welcher Art auch immer) auf Dauer nicht zusammengehen. Man kann keine plattformneutrale Infrastruktur schaffen, die auf Dauer ein Geschäftsmodell garantiert. Und ja, das gilt auch für das Bezahlgeschäftsmodell, wie es APP.net verfolgt. Nur wer den Ein- und Ausgang der Daten kontrolliert, kann dafür Geld nehmen. Kein Kassenhäuschen ohne Schranke.

Plattformneutralität stößt irgendwann zwangsläufig an die Grenzen des betriebswirtschaftlichen Kalküls des Plattformbetreibers. Und dies ist ein grundsätzlicher Konflikt ohne Aussicht auf Lösung.

Nachdem ich in Plattformen I den Kapitalismus – sogar die Monopolbildung – als so wunderbar anschlussfähig dargestellt habe, muss man an dieser Stelle also fragen: ist die Plattformneutralität überhaupt mit dem Kapitalismus vereinbar? Strebt die Plattformneutralität als politisches Konzept dann nicht eine wie auch immer geartete postkapitalistische Ordnung an?

(Ich lass das hier mal so als Cliffhanger für den dritten Teil offen.)

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16 Kommentare zu Plattformen II – Infrastruktur und Kontrolle

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