Plattformen I – Ubiquität und Innovation

Am Sonntag war ich auf einer Party und traf dort auf Christian Heller und leider kommt das nicht so oft vor, wie man denken könnte. Jedenfalls provozierte er mich mit der Bemerkung, dass die wirklich interessanten technologischen Neuerungen ja nicht im Mainstream passieren und er diesen also getrost ignorieren könne. Wirkliche Innovation, so Christian, passiere an den Rändern. Ich widersprach.

Gerade im technologischen Mainstream werden neue Innovationen geboren. Wenn eine Technologie Mainstream wird, oder gar ubiquitär, dann kann und wird sie weiterer Innovation als Grundlage dienen. Als Plattform eben. Und dies ist eine gute Gelegenheit dem Plattformbegriff mal etwas zu Leibe zu rücken und ihn mit einigen Beispielen zu unterfüttern.

Podcast

Der Podcast wurde eigentlich schon 2000 erfunden. Die Technik, Audiodateien per Feed im Internet zu verteilen ist nun auch keine RocketScience. Aber erst als Apple seinen iPod herausbrachte, konnten sich die Dateien ein Publikum erschließen. Podcasts werden unterwegs konsumiert und Apple lieferte die Hardware dazu. Die weite Verbreitung der relativ homogenen Abspielgeräte war dann auch der Durchbruch für das, was man erst ab diesem Zeitpunkt ein „Medienformat“ nennen konnte. Deswegen: „Podcast„. Es dauerte noch bis 2005 bis Apple selbst den Trend erkannte und eine eigene Podcast-Verwaltung in sein Musikprogramm iTunes integrierte. Seitdem boomt das Format, neuerdings nicht zu letzt auch durch die massenhafte Verbreitung von iOS-Geräten. Der Podcast hat die Welt verändert und hört nicht auf damit. Ohne das Mainstreamwerden der Basistechnologie des iPod wäre diese Entwicklung aber nicht denkbar gewesen.

WWW

Ein viel prägnanterer Fall ist die Entwicklung des WWW. Tim Berners-Lee erfand das World Wide Web in genau dem Zeitpunkt, als das Internet zum Sprung in den Mainstream ansetzte. TCP/IP – das Netzwerkprotokoll des Internets – war lange Zeit nur Militärs und Universitäten vorbehalten. Es war vorher keinesfalls ausgemacht, dass das Internet die Netzwerktechnologie sein würde, die sich durchsetzen würde. Als Tim Berners-Lee das WWW konzipierte hatte TCP/IP sich aber gerade als dominantes Netzwerkprotokoll gegen die Konkurrenten durchgesetzt und wurde zur kommerziellen Nutzung freigegeben. Berners-Lee wusste also, dass er sich in gewissen Maße auf einen Standard stützen konnte und entwickelte den ersten Webserver deswegen auf der Grundlage von TCP/IP. Dass mit seiner Entwicklung gleichzeitig der Sprung des Internets in die Konsumentenhaushalte gelang, war ein Zufall, der dem WWW erst den endgültigen Durchbruch verschaffte.
Auch hier war also eine Basistechnologie entscheidend, die eine weit verbreitete, homogene Infrastruktur bot, um einer anderen Technologie den Weg zu bereiten.

AJAX

Nachdem das WWW sich ausgebreitet hatte und ein riesiger Erfolg wurde, gingen bald die so genannten BrowserWars los. Der Platzhirsch Netscape konnte am Ende nicht mehr mit der Marktpenetration (aber auch nicht mit der Qualität) des Internet Explorers aus dem Hause Microsoft mithalten. 2003 hatte der IE6 einen Marktanteil von sagenhaften 95%. Und alle hassten ihn. Microsoft hatte in seiner Arroganz einen mittelmäßigen Browser entwickelt und dabei noch ignoriert, welche Features auf welche Weise standardmäßig zu implementieren sind. Man konnte seine Websites seither entweder Standardkonform bauen, oder so, dass der IE6 sie darstellen konnte. Angesichts des Marktanteils von Microsoft lag die Entscheidung der Webdesigner auf der Hand.

Eines der Features, das nie vom W3C vorgesehen war, aber im IE6 implementiert war, war ein JavaScript-Objekt namens XMLHttpRequest. Microsoft hatte diese Schnittstelle eingeführt, um Internetinhalte besser an den eigenen Exchange-Server zu binden. Dieses Objekt kann eigentlich nicht viel anderes, als einen HTTP Request abzusenden und eine Zeichenkette als Antwort erhalten. Doch der große Vorteil dieser Kommunikation ist, dass sie im Hintergrund abläuft.

Jemand kam nun auf die Idee, mit dieser Funktion HTML-Elemente, CSS-Eigenschaften oder weiteren Javascript Code bei Bedarf im Hintergrund nachzuladen und live in der bereits geladenen Website anzuwenden. Auf diese Weise konnte der Benutzer auf einmal mit einer Internetseite interagieren, ohne, dass diese sich andauernd neu laden muss. Websites wurden dadurch dem Look&Feel von Programmen immer ähnlicher, was die Benutzbarkeit erheblich erhöhte. Die Technologie nannte man später AJAX (Asynchronous JavaScript and XML) und es wurde zu einem der wichtigsten technologischen Treiber für das, was man später als „Web 2.0“ bezeichnen sollte.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet die marktbeherrschende Stellung des Internet Explorer und die Arroganz von Microsoft war, die zur Entwicklung und Verbreitung einer der wichtigsten Innovationen im Web seit dessen Erfindung führten.

Plattformen

Es gibt natürlich noch viele andere Geschichten. Wie sich DSL gegen Glasfaser durchsetzte, weil es auf der bereits ubiquitären Verbreitung der Kupferkabeltechnologie aufbaute, zum Beispiel. Oder wie die breite Marktdurchdrinung von Facebook das neue Segment „Social Gaming“ hervorbrachte. Ein anderes Beispiel ist, wie die iOS Plattform durch den AppStore ganz neue Geschäftsmodelle in Sachen Softwareentwickung entstehen ließ. Und man denke an die vielen hundert kleinen und großen Dienste, die auf der Twitter- oder Google Maps-API aufbauen. Eben nicht nur weil sie offen waren, sondern weil sie ein breites Publikum erreichten.

Wer sich für Technologie interessiert, darf nie den Blick vom Mainstream wenden. Vor ein paar Tagen kam das iPad3 raus und es werden jetzt schon keine Vorbestellungen mehr angenommen. Das iPad hat nicht nur die PostPC-Ära eingeleutet, es ownt diese Ära fast ausschließlich. Sobald das iPad3 in den Händen der Konsumenten ist, wird das wieder eine Infrastrukturumwälzung in der Welt zur Folge haben. Es wird eine ubiquitäre Mainstreamplattform da sein, mit neuen Eigenschaften auf der wieder neue Ideen, neue soziale Praktiken, neue Medienformate und auch neue Technologien emergieren können. Egal, wie man zu Apple, iOS oder dem iPad steht: wer sich für den Fortgang von Technologie interessiert, kann sich für den iPad-Launch nicht nicht interessieren.

Das heißt nicht, dass eine Innovation nicht auch aus einer komplett unerwarteten Richtung kommen kann, dass Technologie nicht auch „from the Ground up“ neu erfunden werden und dennoch Erfolg haben kann. Aber die meiste Technologie steht auf den Schultern von Giganten. Und je breiter die Schultern dieses Giganten sind, desto weltverändernder kann sich eine neue Technologie entwickeln und durchsetzen.

Plattformen müssen also hinreichend homogen und möglichst weit verbreitet sein. Erst dann kann sich auf ihnen eine disruptive technologische Wucht entfalten.

Bei Diskussionen um Plattformneutralität wird dieser Faktor gerne unter den Tisch fallen gelassen. Warum nutze ich zum Beispiel Applegeräte, Twitter und Facebook statt Linux, Status.net und Diaspora – obwohl ich doch für Plattformneutralität eintrete? Ganz einfach: Die alternativen Dienste sind zwar eher neutral, aber mir eben oft nicht Plattform genug (wenig Verbreitung / starke Fragmentierung), um relevante technologische Neuerungen hervorzubringen. Und vor die Neutralität haben die Götter die Plattform gesetzt.

(Hier geht es zu Plattformen II – Infrastruktur und Kontrolle)

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9 Kommentare zu Plattformen I – Ubiquität und Innovation

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