Prism und eine düstere Post-Privacy-Prognose

Ich habe für ZEIT Online einmal aufgeschrieben, was Prism aus Sicht der Post-Privacy-Lebensführung bedeutet. Darin erkläre ich auch, dass es ein historisches Mißverständnis ist, in Daten nur immer das Belastende zu sehen:

Wir haben Daten lange Zeit für böse gehalten, denn anhand von Daten können wir in Verdacht geraten. Daten können uns belasten, uns sogar ins Gefängnis bringen. Das stimmt auch, aber es ist nur die eine Seite der Medaille. Dass wir diese einseitige Sicht auf Daten haben, liegt an der historischen Besonderheit, dass Datenverarbeitung lange Zeit nur und ausschließlich von großen Institutionen wie Staat und großen Unternehmen betrieben wurde. Das hat sich nun geändert, seit einigen Jahren sammeln, tauschen und verarbeiten wir alle Daten jeden Tag – und jeden Tag ein bisschen mehr.

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Man kann diese Frage noch weiter zuspitzen, wie Sascha Lobo mit Bezug auf Patrick Breitenbach es getan hat. Unter dem Titel: „Wer lesen kann, kann auch schreiben“ wird ein Szenario beschrieben, das noch schlimmer wäre also bloße Überwachung: Was wäre, wenn sich die Dienste dazu entschlössen, statt die Daten nur zu sammeln, sie zu auch manipulieren. Wer in der Lage ist, das zu tun, hat die Macht der allgemeinen Realitätskonstruktion und der absoluten Manipulation.

In der Tat ist dies eines der schlimmsten vorstellbaren Szenarien eines Totalitären Staates und es ist auf keinen Fall ausgeschlossen, dass es soweit kommt. Ein machthungriger Dienst wird diese Option in jedem Fall erwägen.

Aber stimmt das so pauschal: „wer lesen kann, kann auch schreiben“? Spielen wir diese Möglichkeit doch einmal im Detail durch:

Der Geheimdienst könnte mir Daten unterschieben oder meine Daten manipulieren, auf die nur ich Zugriff habe. Man könnte z.B. Kinderpornografische Bilder auf meine Festplatte schmuggeln, die dann „entdeckt“ werden. Ich käme in Erklärungsnot, könnte aber diese Möglichkeit der Manipulation vorbringen. Leider würde ich dann vermutlich als Verschwörungstheoretiker belächelt.

Der Geheimdienst könnte auch die Daten manipulieren, die ich mit anderen ausgetauscht habe. Er könnte beispielsweise eine E-Mail fingieren, in der ich einen Terroranschlag plane. Hier wird es kniffeliger für den Geheimdienst. Denn mein Gegenüber hat vermutlich eine Kopie meiner Mail auf seinem Rechner, und/oder in seinem Webmail-Postfach. Zudem gibt es für die Mail – für ihr Auftauchen und ihren Inhalt – einen Zeugen. Das alles ist lange nicht manipulationssicher, aber der Geheimdienst hat eine ganze Menge mehr Arbeit, mir etwas unterzuschieben.

Noch viel schwieriger ist es, wenn der Dienst etwas manipulieren will, was in aller Öffentlichkeit gesagt wurde. Mein Facebookstatus, einen Tweet, einen Blogpost. Zunächst müsste der Geheimdienst Schreibzugriff auf die jeweiligen Server und Datenbanken haben. Dass diese ihm gewährt werden, z.B. von Google, Facebook und Twitter ist zwar unwahrscheinlich, aber auf keinen Fall ausgeschlossen. Noch einfacher ist es, bei selbstgehosteten Blogs wie WordPress, denn die lassen sich alle mit einem Schraubenzieher und ein bisschen Spucke hacken.

Aber was ist mit den hunderten, ja tausenden Zeugen, die das Original schon gelesen haben. Was ist mit all den automatischen, halbautomatischen und bewussten Kopien, die bei Google, archive.org, hunderten Browsercaches und Poxies lagern? Wer hätte auf all diese Quellen Schreibzugriff, wer ist glaubwürdiger als hunderte von Zeugen? Egal, wie man glaubt, dass sich Geheimdienste entwickeln werden, eine solche Manipulationsleistung wird man ihnen auch in Zukunft nicht zutrauen.

Wir halten fest: „Wer lesen kann, kann auch schreiben“ gilt umso weniger, je öffentlicher eine Information geteilt wird. Je öffentlicher eine Information, desto schwieriger bis unmöglich wird es, sie hinterher zu manipulieren.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Autos in Russland zu einem großen Teil mit Videoregistratoren ausgestattet sind. Das sind kleine Kameras, die fest an der Windschutzscheibe kleben und dort alles aufzeichnen, was sich während der Fahrt ereignet.

Das System ist deswegen so populär in Russland, weil dort eine korrupte Willkürherrschaft der Polizei den Rechtstaat ausgehöhlt hat. Wer Recht bekommen will, kann sich nicht auf den Staat verlassen. Mit den Videoregistratoren steht man im Erstfall nicht alleine da. Man hat Beweise, die nur schwer entkräftbar sind. Man hat Deutungshoheit. Die guten Modelle streamen die Videodaten direkt auf einen Server, so dass die Polizei diese Deutungshoheit auch nicht wieder kaputt machen kann, indem sie die Dinger konfisziert.

Die Chance der offenen Daten sich horizontal zu vernetzen, so geht eine gängige These zur Post-Privacy, werde sich so nützlich und politisch mächtig erweisen, dass die Leute sich auf Dauer entscheiden, öffentlich zu leben.

Diese optimistische, beinahe utopische Prognose wurde von Datenschützern immer gerne als naiv und weltfremd verworfen. Das ginge nur, solange man nicht einer Macht ausgeliefert sei.

Jetzt kann man dem Argument eine pessimistische, aber nur auf den ersten Blick zynische These hinzusetzen: Post-Privacy wird sich auch deswegen durchsetzen, weil die Leute es nicht so schlimm finden, bei etwas erwischt zu werden, als unschuldig angeklagt zu werden. Und das Argument gilt um so stärker, je mehr man sich einer mächtigen Willkür ausgesetzt sieht.

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20 Kommentare zu Prism und eine düstere Post-Privacy-Prognose

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