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Derrida und ChatGPT – Ein philosophischer Dialog über Sprache und Denken

Ich lese gerade viel zu LLMs und dem ganzen KI-Kram und ich bin hin- und hergerissen zwischen: „oh Gott ist das spannend, das wird alles ändern!“ und „ich will nur noch in Rente gehen!“ Je mehr ich mich mit der Funktionsweise der Sprachmodelle beschäftige, desto stärker fühle ich mich in die Zeit meiner Beschäftigung mit dem Poststrukturalismus, insbesondere mit Derrida, zurückgeworfen. Mir scheint, dass das „Denken“ der KI, gerade weil es nur statistische Auswertung von Texten ist, die Intertextualitätsthese des Poststrukturalismus gewissermaßen beweist. Während ich also so vor mich hinräsoniere, ob das wirklich der Fall sein kann, ist mir eingefallen, dass ich ja mal jemanden fragen kann, der sich damit auskennt: ChatGPT! Ich fand die Konversation angregend, obwohl man stellenweise merkt, wie erstens das Modell sehr affirmativ angelegt ist (es versucht im erstens Schritt mir immer recht zu geben), zweitens, dass die Reasoningfähigkeiten jedoch noch recht begrenzt und oberflächlich sind (zu einem Großteil versucht es nur meine Aussagen umzuformulieren) und drittens Guardrails (meine Vermutung) dafür sorgen, dass das Programm nicht allzu bolde Claims über seine eigenen Fähigkeiten macht (Bezüge auf eigene Denkfähigkeiten werden routiniert relativiert). Und doch ist unzweifelhaft zu erkennen, dass hier auch Verstehen passiert. Nachvollzug von Gedanken, Text- … Weiterlesen

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10 Thesen zum Neuen Spiel

Ich habe einen langen, sehr langen Text für die SPEX geschrieben (Ab S. 116), über die Abhöraffaire und wie sie mit den Entwicklungen, die ich vor einigen Jahren unter dem Label Kontrollverlust zusammengefasst habe, zusammenhängt. Denn im Grunde ist ja nichts passiert. Geheimdienste machen das, was sie immer gemacht haben, sie besorgen Informationen. Nur sind das, was früher Telefonkabel und Tonbandgerät waren eben heute Glasfaser und Rechenzentrum. Die Macht der NSA beruht darauf, dass sie auf genau jenen Kräften surft, die ich als die Treiber des Kontrollverlustes ausgemacht habe. Zum Ende einer langen, düsteren Analyse komme ich dazu, Lehren aus dem NSA-Fall zu destillieren. Ich weiß, das alles ist noch nicht verarbeitet und ich haue voll rein in die allgemeine Prism-Depression. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle eine Triggerwarnung aussprechen? Jedenfalls habe ich jetzt, mit etwas Abstand, meine Überlegungen dazu wie es jetzt weitergeht noch mal erweitert und will sie hier als 10 Thesen zur Diskussion stellen.

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Plattformen II – Infrastruktur und Kontrolle

Ein neuer Heilsbringer ist am Netzgemeindenhorizont erschienen. Nach Status.net, Diaspora und Zurcker soll uns nun also APP.net aus den Fängen all der pösen Facebooks, Googleplusses und Twitters befreien. Der Gründer Dalton Caldwell initiierte das Projekt gewissermaßen mit einem Rant über die zunehmende Geschlossenheit der Twitterplattform. Twitter, einst vorbildlich offen nach innen wie nach außen, hat ein enormes Ökosystem um sich herum geschaffen, mit vielen externen Dienstleistern und einer ganzen Reihe von Drittanbietersoftware. Doch seit die Entscheidung zur Werbung als Geschäftsmodell gefallen ist, zieht Twitter die Mauern hoch, exkommuniziert Drittanbieter per API und sperrt die Inhalte seiner Nutzer immer weiter ein. „Wenn du für das Produkt nicht zahlst, bist du das Produkt„. Diese gebetsmühlenhaft wiederholte Weisheit scheint sich ein weiteres Mal zu bestätigen. Das Rezept dagegen ist so einfach wie die Analyse, jedenfalls nach Caldwell: man muss dann eben für den Service zahlen, dann ist man der Kunde, kein produkt mehr, dann wird man gehört. Und so sammelt er für seinen Dienst im Vorfeld Geld (bald 1 Mio Dollar) und will auch nach dem Launch die Nutzer zur Kasse bitten.

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Carta: Der entfesselte Skandal: Das Buch zum Kontrollverlust

Vor knapp einem Jahr lud mich Bernhard Pörksen ein, an der Uni Tübingen einen Vortrag über den Kontrollverlust zu halten, was ich gerne annahm. Wir blieben seitdem über das Thema in Kontakt, denn Pörksen schrieb zu dieser Zeit zusammen mit seiner Mitarbeiterin Hanne Detel ein Buch über Skandale im Internetzeitalter. Während der Entstehungsphase gab es weiteren Austausch und Zusammenarbeit; so habe ich eine frühe Alphaversion des Buches lesen und kommentieren dürfen. Ich bin also befangen, was die Autoren und das Buch angeht, finde aber den Beitrag zu wichtig, als ich dass ich ihn unrezensiert lassen könnte. In gewissem Sinne ist „Der entfesselte Skandal – Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ nun das Kontrollverlustbuch. Jedenfalls ist es das erste Buch, das die Kontrollverlustthese in Buchform in die Debatte wirft. In einem anderen Sinn ist es das aber auch wieder nicht, denn einerseits haben Pörksen und Detel ihren Kontrollverlustbegriff anders definiert, als ich es tat (dazu gleich mehr), andererseits ist das Thema, mit dem sich das Buch auseinandersetzt – der Skandal – nur ein Ausschnitt dessen, was ich alles unter dem Begriff Kontrollverlust subsumiere. Aber genau diese Konzentration auf ein Kernthema tut dem Buch gut. Pörksen und Detel legen eine extrem … Weiterlesen

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Vortrag: Kontrolle und Kontrollverlust

/***** Am 8. Dezember 2011 hielt ich den Eröffnungsvortrag auf der Konferenz „Neuste Medien unter Kontrolle?“ in Freiburg. Ich nutzte die Gelegenheit, etwas tiefer – das heißt philosophischer – in das Problem der Kontrolle und des Kontrollverlusts einzusteigen. *****/ Meine lieben Damen und Herren, liebe Veranstalter. Ich bedanke mich herzlich für die Einladung und für die Ehre, diese Konferenz eröffnen zu dürfen. „Neuste Medien unter Kontrolle?“ ist das Thema dieser Tagung. Und natürlich ist das zweite, was einem unter diesen beiden Termen einfällt: Deleuze – gleich nach dem Jugendschutzmedienstaatsvertrag. In seinem „Postscriptum zur Kontrollgesellschaft“ malt Deleuze schon 1990 aus, wie sich unsere Gesellschaft von der Disziplinargesellschaft hin zur Kontrollgesellschaft entwickelt. Zentrales Instrument und Katalysator – man ist versucht zu sagen: Medium – dieser Umwandlung ist der Computer. Kontrollgesellschaft – verkürzt: die Verwechslung des Gefängnisses mit der elektronischen Fußfessel – wäre somit eine Gesellschaft mit beschränktem Zugang. Automatische Schranken überall. Jeder Schritt wird kontrolliert, jede Handlung reglementiert.

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Gute Daten, böse Daten – Kontrollverlust als Kontextverschiebung

Letztens bin ich wieder über den „Skandal“ um Daniel Cohn-Bendits Äußerungen gestoßen, die er 1975 in seinem Buch „Der große Basar“ über die Sexualität von Kindern gemacht hatte. In dem Buch findet sich die Schilderung von erotischen Erlebnissen, die er angeblich als Betreuer in einem alternativen Kindergarten hatte. Später hat er diese Passagen als rein provokative Erfindung abgetan. (Die provokative Koketterie mit pädophilen Gefühlen war damals im Rahmen der „Sexuellen Revolution“ nicht unüblich) Als die Aussagen gemacht wurden, waren sie ohne Frage eine Provokation. Sicher rüttelten sie auch an einem Tabu. Skandalisierungsfähig waren sie allerdings nicht. Das Buch, in dem sie geäußert wurden, wurde prominent besprochen, auch und gerade vom konservativ-bürgerlichen Lager. Und der Aufschrei war groß – wegen vieler Passagen, Werte und politischen Bekenntnissen – aber nicht wegen des Absatzes zur kindlichen Sexualität.

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Transprivacy: Eine kurze Geschichte der Postprivacy

/****** Für das Kunstprojekt Transparivacy habe ich in drei Teilen den Verlauf der Diskussion um Postprivacy in Deutschland aufgeschrieben. Ich glaube, es ist ein guter Einstieg in das Thema, wenn man nachvollziehen kann, wie sich der Diskurs entwickelt hat. ******/ Teil I: Postprivacy, Kontrollverlust und das „German Paradox“ Es war kurz nach Weihnachten im Jahre 2008 – der Chaos Computer Club veranstaltete wie jedes Jahr seinen großen Kongress in Berlin – als ein junger Mann namens Christian Heller die Bühne betrat um seinen Vortrag zu halten. [Weiterlesen >>] * * * Teil II: StreetView, Wikileaks und die liquide Demokratie Es war noch im Frühjahr 2010 als in Form des Google-StreetView-Autos die Datensammelei ein Gesicht bekam. Auch auf deutschen Straßen fuhren sie nun und fotografierten die Hausfassaden und die Medien wurden nicht müde, diese „Bedrohung“ zu dokumentieren und vor ihr zu warnen. [Weiterlesen >>] * * * Teil III: Filtersouveränität, Spackeria und die Datenschutzkritik Im Oktober des Jahres 2010 waren Christian Heller und ich auf eine Konferenz eingeladen, die von der Piratenpartei organisiert wurde, sich aber nicht nur an Piraten richtete. Die Openmind sollte eine kleine Konferenz werden, auf der durchaus unausgegorene, aber umso freigeistige Ideen und Utopien vorgestellt werden sollten. … Weiterlesen

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Abstact: Derrida, Foucault und der Kontrollverlust

/************ An meiner alten Uni in Lüneburg findet nächstes Jahr vom 2. bis 4. Februar das Symposion des DFG: „Soziale Medien — Neue Massen“ statt. Ich hatte mich auf den Call for Papers beworben, habe aber heute leider eine Absage bekommen. Eigentlich wollte ich mich die nächste Zeit tiefer in die Thematik stürzen, die ja eigentlich mein Doktorarbeitsthema ist und dafür sind Vortragsdeadlines bei mir die effektivste Methode. Schade. Ich hoffe, ich werde die Motivation von irgendwo anders her aufbringen. Hier jedenfalls das Abstract, das ich eingereicht habe: ************/ Derrida, Foucault und der Kontrollverlust Die poststrukturalistischen Abgründe des Internets Im letzten Jahr hat sich der Begriff „Kontrollverlust“ für die teilweise dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen etabliert, die sich durch das Internet ereigneten. Die Regierungen verlieren durch Plattformen wie Wikileaks die Kontrolle über ihre Geheimnisse, die Kulturindustrie verliert durch Piraterie die Kontrolle über ihre Distributionswege und Unternehmen verlieren durch das demokratisierten Sprechen im Netz die Kontrolle über ihre Markenkommunikation. Nicht zuletzt verlieren wir alle die Kontrolle über unsere Daten, die längst frei im Internet flottieren, manchmal gewollt, oft ungewollt. Ohne die Evidenz dieser Beobachtung in Frage zu stellen, halte ich es für geboten, dieser angeblichen Kontrolle, die da verloren geht, auf den Grund … Weiterlesen

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Wikileaks Kontrollverlust

Stehe! Stehe! Denn wir haben Deiner Gaben Vollgemessen! – Ach ich merk es, wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen! Johann Wolfgang von Goethe: Der Zauberlehrling In meinem ersten Artikel über Wikileaks schrieb ich: Der Kontrollverlust hat einen Kulminationspunkt gefunden: Wikileaks. Wikileaks ist für den Kontrollverlust das, was die New York Times für den Journalismus war ist. Die wichtigste Institution und das Paradebeispiel seiner Funktionsweise. Kein Monopol, aber ein Sinnbild. Und ja, mit und durch Wikileaks lässt sich das Phänomen „Kontrollverlust“ gut erklären, deswegen tue ich das immer wieder. Und auch diesmal haben die Jungs um Julien Assange ein weiteres Lehrstück inszeniert und dabei eine weitere Erkenntnis bewiesen: Wikileaks hat gezeigt, dass der Kontrollverlust kein Subjekt und kein Objekt kennt und vor allem, dass er keine Metaebene hat. Es gibt kein Außerhalb des Kontrollverlusts. „Ein Kontrollverlust entsteht, wenn die Komplexität der Interaktion von Informationen die Vorstellungsfähigkeiten eines Subjektes übersteigt.“ (via) Ein Kontrollverlust ist immer ein notwendig subjektiver, wenn auch kein ausschließlich menschlicher. Aber es braucht einen Akteuer (oder Akteure), Leute die handeln, die kommunizieren und die glauben, Herr dieser kommunikativen Handlungen zu sein.

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Die Institution und der Dämon

Bei dem Artikel für die Böllstiftung sind – wie ich bereits andeutete – noch nicht alle Aspekte versammelt, die es zum Kontrollverlust zu sagen gibt. Ich schrieb den Text im Januar und hatte mir noch bis zur re:publica Zeit genommen, den Rest der Theorie zu formulieren. Auf meinen Vortrag gab es dann die Vollversion. Den Rest will ich jetzt hier nachtragen. Wie Torsten Kleinz richtig herausstellt, kennen wir eine absolute Kontrolle von Information aus keiner Zeit in der Geschichte der Menschheit. Der Kontrollverlust ist im Grunde seiner Mechanik kein digitales Phänomen, sondern ebenso ein analoges, ein beinahe banales, aber dafür um so universelleres. Luhmann hat einmal gesagt: “Wer schweigt, kann immer noch reden. Wer dagegen geredet hat, kann darüber nicht mehr schweigen.” Diese einfache Wahrheit beschreibt den Urkontrollverlust sehr treffend. Es geht schlicht und ergreifend eine Option verloren, sobald die Information in der Welt ist. Information ist ein irreversibles Ereignis. Ein Ereignis, das weitere Ereignisse anstößt und sich auf diese Art und Weise fortpflanzt.

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