Postprivacy

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P. (auch Post-Privacy) ist die utopische Vorstellung einer Gesellschaft, die die Privatsphäre überwunden hat. Sie ist aber vor allem eine Argumentesammlung gegen das Konzept Privatsphäre und den sie gewährleistenden Datenschutz, sowie über die emanzipative Wirkung von Öffentlichkeit.

P. wurde 2007 von Christian Heller (plomlompom) zunächst in seinem Blog entwickelt und dann auf dem Kongress des Chaos Computer Club 2008 vorgetragen. (Die Entstehungsgeschichte des Diskurses habe ich hier aufgeschrieben: Teil1, Teil2, Teil3)

„The conditions of privacy are rapidly changing. We have to evaluate these changes with a perspective that does justice to new modes of identity, sociality and culture: Why hide your personal weirdnesses if 21st century society thrives on difference and originality instead of conformism and predictability? What identity is there to keep private if „identity“ is more and more what you externalize from yourself into the internet? Is privacy worth missing out on participation in the global „hive mind“ and the „ambient intimacy“ of every mind connected with every other mind?“

Bei seinem Vortrag „Die Ideologie Datenschutz“ von 2010 bezog sich Heller stärker auf Datenschutzkritik:

Datenschutz ist aber vor allem auch: Ideologie und Instrument bestimmter Vorstellungen von Staatsrecht und geistigem Eigentum; Rettungsanker für bestehende Ordnungen im Guten wie im Schlechten und Schutzversprechen für fragwürdige identitäre Logiken.

Christian Heller hat dazu das Buch „Prima leben ohne Privatsphäre“ geschrieben, das am 27. Oktober 2011 in die Läden kam. (Rezension)

Aus den Ideen der P. ist schließlich die Datenschutz kritische Spackeria hervorgegangen. (Portrait hier.)

Was die P. für mich bzw. dieses Blog bedeutet habe ich hier aufgeschrieben:

„Postprivacy ist vielleicht – wenn man sie weiterdenkt – sogar das Ende einer jeden Forderung des “Soseins” an das Individuum und insofern tatsächlich radikal unpolitisch. Sie ist – und das ist vielleicht die kühnste und utopischste Vision, was Postprivacy sein kann – das Ende jeder allgemeinen “Moral” und das Ende des Zwangs zur Anpassung.“

Meine Person und dieses Blog werden gerne als Teil der P.-Bewegung gesehen. Das ist im Grunde nicht ganz falsch, es gibt aber dennoch ein paar Probleme, die ich mit dem Begriff P. habe, die ich hier aufgeschrieben habe.

Die P. ist notwendige Vorraussetzung für das Funktionieren der Queryology als gesellschaftliches Organisationskonzept:

Die Query erweitert nämlich nicht in erster Linie mich, sondern den Anderen. Nur wenn ich Daten von mir preisgebe – wenn ich sage, wer ich bin, was ich will, was ich habe, was ich liebe, für was ich kämpfe, welche sexuellen Präferenzen ich habe, wie ich über alles Mögliche denke -, wird der Andere mich finden, ohne sich der schmierigen Vertraulichkeit einer Institution unterwerfen zu müssen. Verweigere ich mich der Offenheit, bin ich der Query des anderen entzogen – und legitimiere dadurch wieder einen zentralistischen Machtapparat.

Bezüge zu anderen Begriffen dieses Blogs:

– Der Kontrollverlust ist einerseits teil der Argumentation von P. und andererseits dient P. dem Kontrollverlust als Argument, warum die Zivilisation trotz des Kontrollverlustes nicht unterzugehen braucht.
– Die P. ist Notwendig, wenn die Gesellschaft in die Phase der Queryology eintritt.

4 Kommentare zu Postprivacy

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