Post-Privacy-Buch: „Fesselt die Datenschützer!“

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Diese Rezension des Buches von @plomlompom habe ich, wie man unschwer erkennen kann, nicht für dieses Blog geschrieben. Sie wird aber aus Gründen trotzdem hier veröffentlicht.
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Am Montag trafen sich Datenschützer, Politiker und Vertreter von Google und Facebook zu einer Anhörung im Bundestag. Viel kam dabei nicht heraus, doch wurde wieder deutlich, wie verhärtet die Fronten sind. Während der Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert einen „massiven nationalen Handlungsdruck“ gegen die amerikanischen Dienste sieht, können diese auf die große Beliebtheit ihrer Dienste verweisen.

Deutschland im Jahre 2011 ist gespalten. Aber nicht nur in Offliner und Onliner, sondern auch mitten durch die Onliner hindurch. 90 Prozent der deutschen Web-Nutzer mißtrauen Facebooks beim Umgang mit personenbezogenen Daten. Es sind zum großen Teil die selben Personen, die sich gleichzeitig auf eben jenen Plattformen tummeln. Die geäußerten Wünsche der Menschen, so scheint es, passen nicht zu ihrem Verhalten. Sind wir ein Volk von Lippenbekenntnisbedenkenträgern?

Ende 2008 war es, als Christian Heller in einem Vortrag auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs das erste Mal das Wort „Post-Privacy“ benutzte. Er forderte auf, das Ende der Privatsphäre zu „umarmen“. Die Reaktionen waren damals eher verwundert als geschockt. Zu absurd klangen seine Thesen, als dass man sie hätte ernst nehmen können.

Seitdem ist eine Menge passiert. Googles Dienst StreetView bescherte dem Land die wohl größte Datenschutzdebatte seit der Volkszählung und Wikileaks zerstörte den Glauben an die Kontrollierbarkeit von Datenflüssen nachhaltig. Um den Begriff „Post-Privacy“ entstand eine Bewegung, die sich im Netz fast täglich kritisch mit Datenschutz auseinandersetzt.

Und heute kommt nun Christian Hellers Buch zu dem Thema heraus. Es trägt den Titel: „Post-Privacy: Prima leben ohne Privatsphäre„. Anders, als der Titel vermuten lässt, handelt es sich aber nicht um einen FFK-Ratgeber. Stattdessen enthält es die Thesen aus Hellers Vorträgen und die gesammelten Argumente der Diskussionen über die Zeit, aufbereitet auf sehr dichten 174 Seiten.

Seine These: Die Privatsphäre sei am Ende und das ist gut so. Schuld sei das Internet, in dem wir nicht nur magisch immer weiter hinein- und dort ausgezogen werden, sondern auch die Unkontrollierbarkeit – die „Entfesselung“ – der Daten. Das habe positive wie negative Effekte. Zu lange wurde nur auf die negativen geschaut. Er will sich auf Chancen konzentrieren.

In einem kurzen historischen Abriss erläutert er anschaulich, wie sich die Privatsphäre historisch seit der Antike entwickelt hat. Es zeigt sich, dass sie mehrmals umwandlungen und radikale Umdefinitionen erfahren hat und wie jung eigentlich unser heutiger, bürgerlicher Begriff von ihr ist. Heller räumt ein, dass sie zwar unsere Heutige Gesellschaft ermöglichte, aber zum Beispiel auch immer der Unterdrückung der Frau diente.

Er zeichnet auch die Entwicklung des Diskurses um den Datenschutz nach und kritisiert ihn eingehend. Datenschutz – so seine Hauptargumentationslinie – sei eine vom Staat gewährte und seinem Willen untergebene Einrichtung. Wenn der Staat will, dann sind wir nackt – der „Sicherheit“ halber. Wer wollte ihm da angesichts der Staatstrojaneraffaire widersprechen?

Wirklich interessant wird es, wenn sich Heller kritisch mit der Privatheit als angeblichem Schutz vor Machtapparaten und Totalitarismen befasst. Die orwellsche Gesellschaft aus 1984 zum Beispiel – die wohl wichtigste Erzählung der Privatsphärenverteidiger – zeichne sich eben nicht nur durch Überwachung aus. Mindestens eben so wichtig sei die Vereinzelung und die Kontrolle der Informationsflüsse der Menschen untereinander. Wer abgeschottet von einander lebt, kann sich nicht gegen die Macht organisieren. Heller nimmt den Überwachungsbegriff und macht zwei Achsen auf: die vertikale Überwachung der Individuen durch die Macht und die horizontale: der Informationsfluss zwischen den Unterdrückten. Die Basis der Macht baue immer darauf den vertikalen Informationsfluss zu gewährleisten und die horizontale Durchlässigkeit einzudämmen.

Heller zeichnet historisch nach, wie das Geschenk des Privaten als Eigentum und Möglichkeit der Abschottung voneinander als bürgerliches Heilsversprechen der Freiheit unterbreitet wird. Ein Geschenk, dass sich aber als vergiftet herausstellt. Da – wie oben gezeigt – die vertikale Überwachungsachse von der Macht nie wirklich aufgegeben wird, aber durch die Vereinzelung der horizontale Informationsfluss geschwächt wird, schafft es eine Regierung um so besser, die Individuuen unter Kontrolle zu halten. Jedenfalls solange, bis das Internet kam.

An den emanzipatorischen Bewegungen wie der Frauen- und der Schwulenbewegung zeigt Heller, wie der vermeintliche Schutzraum des Privaten gerade für Minderheiten zum Gefängnis wird. Schwulsein konnte man zwar schon immer in seinen vier Wänden, doch tatsächliche Freiheit erlangt man eben erst, sobald man es nicht in der Öffentlichkeit verbergen muss. Die Privatsphäre gerät schon mal zum Agenten der Intoleranz und Unfreiheit, indem es das Andersartige vor den Augen der Öffentlichkeit wegsperrt. Erst die großen Coming-Outs und die „Wir haben Abgetrieben„-Kampagnen ermöglichten den Ausbruch aus dem Gefängnis Privatsphäre.

Wirklich irritiert sitzt man vor der Lektüre, wenn Heller ausgrechnet Facebook mit seinen vielen Datenschutzeinstellungen und der daraus resultiernden Geschlossenheit an die (idologische) Seite der Datenschützer verortet. Oder wenn er zeigt, wie ausgerechnet die DDR ihren inneren Frieden vor allem durch das Gewähren von Privatsphäre seiner Bürger sicherte. Gerade die vertikale Überwachung und die Tatsache, dass man sich bei Gruppen, die über den eigenen Familienkreis hinausgingen, nie sicher sein konnte, es nicht mit einem Stasispitzel zu tun zu haben, führte dazu, so Heller, dass die Leute sich immer stärker in’s Private zurückzogen. Öffentliches Leben fand in der DDR fast nicht statt, was sehr im Interesse der Obrigkeit lag.

Hellers Buch ist ein kompletter Gegenentwurf zum Privatsphären- und Datenschutzdenken in Deutschland. Seine Argumente treffen das Grundverständnis vieler unserer Werte und Erzählungen ins Mark. Erfreulicher Weise wird Heller bei aller Radikalität nie eifernd, sondern bleibt immer nüchtern und sachlich. Ein weiterer Pluspunkt ist die Sprache. Zwar schreibt er mit einem deutlichen Duktus, verwendet aber auch viel Sorgfalt auf Verständlichkeit. Zum Verständnis des Buches braucht man sich weder mit Internettechnik noch mit dem Netzdiskurs auseinander gesetzt haben.

Leider geht dabei aber auch gelegentlich etwas Tiefe verloren. Die Begriffe die er verwendet, stammen teilweise aus wichtigen Philosophischen Werken, ohne dass ihre Diskurse ausreichend referenziert und problematisisert wurden. Für den anspruchsvollen Leser bleiben einige Fragen ungeklärt. Man kann natürlich auch sagen, Heller hat sich im Zweifel für Lesbarkeit entschieden.

Zudem kann man Heller schnell vorwerfen, allzu leichtfertig lang gewachsene und für unsere Demokratie wichtige Werte über Board zu schmeißen. Das gelegentliche Aufblitzen seiner Sympathie für „das anarchistische Internet“ spricht da oftmals Bände. Auch unterschätzt er die Notwendigkeit von Schutzräumen als Bedingung auch für emanzipative Bewegungen. Die Schwulenbewegung musste sich zunächst unter dem Schutz von blickdichten Wänden manifestieren und organisieren, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen konnte.

Bei aller Kritik und allem Widerspruch, den man einwenden kann: es ist gut, dass es dieses Buch gibt. Es ist eine erfrischende Wendung der Perspektive auf den allzu selten hinterfragten Wert des Privaten und bietet dem Datenschutzdiskurs ein vielleicht notwendiges Gegengewicht. Die Diskussion um die „Post-Privacy“ wird die Agenda der Datenschützer unter Legitimationsdruck setzen, was der Debatte nur gut tun kann.

Keine Frage, die Privatsphäre befindet sich im Wandel. Die Diskrepanz zwischen den Datenschutzforderungen und dem eigentlichen Verhalten der Deutschen muss schließlich einen Grund haben. Heller liefert einen Ansatz, bei dem es lohnt, weiter zu fragen.

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