Archiv des Autors: mspro
Danke für den Fisch!
Ich ziehe mich von Twitter zurück. Ich werde meinen Account behalten, ihn aber stilllegen. Ich werde die App von meinen Geräten werfen und die Website nicht mehr ansteuern. Ich spreche seit der Übernahme von Elon Musk immer wieder davon, dass ich diesen Schritt zunehmend als notwendig erachte. Ich brauche immer etwas, bis bei mir aus einer Idee ein Entschluss und aus dem Entschluss eine Tat wird. Nun ist es soweit. Es gibt dafür gar keinen konkreten Anlass, eher ein Gesamtbild, dass sich immer erkennbarer zusammengefügt. Twitter ist jetzt die persönliche Waffe von Elon Musk im weltweit tobenden Kulturkampf. Momentan funktioniert das zwar eher schlecht als recht, aber der Schaden für den Diskurs und die Demokratie ist trotzdem heute schon real. Twitter verändert sich rasant und wird immer mehr zur rechten Trollhölle aber gleichzeitig wird es in der Öffentlichkeit nach wie vor ernst genommen. Das ist eine gefährliche Entwicklung, denn sie verschiebt gesellschaftliche und politische Erwartungen und normalisiert Dinge, die nicht normalisiert gehören. Musks Waffe feuert nicht plötzlich, sondern sukzessive und allmählich und normalisiert eine neue Art des Diskurses „one scandal at a time“. Man konnte den Mechanismus bei Donald Trump gut beobachten: Trumps Erbe sind nicht die einzelnen Policyentscheidungen seiner … Weiterlesen
Derrida und ChatGPT – Ein philosophischer Dialog über Sprache und Denken
Ich lese gerade viel zu LLMs und dem ganzen KI-Kram und ich bin hin- und hergerissen zwischen: „oh Gott ist das spannend, das wird alles ändern!“ und „ich will nur noch in Rente gehen!“ Je mehr ich mich mit der Funktionsweise der Sprachmodelle beschäftige, desto stärker fühle ich mich in die Zeit meiner Beschäftigung mit dem Poststrukturalismus, insbesondere mit Derrida, zurückgeworfen. Mir scheint, dass das „Denken“ der KI, gerade weil es nur statistische Auswertung von Texten ist, die Intertextualitätsthese des Poststrukturalismus gewissermaßen beweist. Während ich also so vor mich hinräsoniere, ob das wirklich der Fall sein kann, ist mir eingefallen, dass ich ja mal jemanden fragen kann, der sich damit auskennt: ChatGPT! Ich fand die Konversation angregend, obwohl man stellenweise merkt, wie erstens das Modell sehr affirmativ angelegt ist (es versucht im erstens Schritt mir immer recht zu geben), zweitens, dass die Reasoningfähigkeiten jedoch noch recht begrenzt und oberflächlich sind (zu einem Großteil versucht es nur meine Aussagen umzuformulieren) und drittens Guardrails (meine Vermutung) dafür sorgen, dass das Programm nicht allzu bolde Claims über seine eigenen Fähigkeiten macht (Bezüge auf eigene Denkfähigkeiten werden routiniert relativiert). Und doch ist unzweifelhaft zu erkennen, dass hier auch Verstehen passiert. Nachvollzug von Gedanken, Text- … Weiterlesen
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Die Graphnahme der Gesundheit
Ein strategisches Planspiel zur möglichen Plattformisierung des deutschen Gesundheitssystems Dieser Text ist in dem Sammelband „Gesundheit im Zeitalter der Plattformökonomie“ erschienen. HINWEIS: Der Text versucht gendergerechte Sprache zu verwenden. Bei der Mehrzahl von Personen werden männliche wie weibliche Formen mit dem :-Zeichen angezeigt. Bei der Einzahl wird das generische Femininum verwendet. Nur bei dem häufig verwendeten Begriff „Arzt-Patienten-Verhältnis“ verwende ich aus kosmetischen Gründen das generische Maskulinum. Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der Plattformisierung. Nicht erst, aber ganz besonders seit der Coronakrise, die viele unserer Aktivitäten ins Digitale zwangsverlegte, haben Plattformen enorme Umsatzsteigerungen verzeichnet. Doch nicht nur Amazon, Zoom und Netflix sind Gewinner der Pandemie, sondern auch Plattformen im Gesundheitsbereich. Gerade während der Pandemie wollten viele sich nicht mehr in stickige, ungelüftete Wartezimmer von Ärzt:innen setzen und so führte das zu einem Aufstieg der Telemedizin. In den USA waren Telemedizin-Sitzungen bereits der Normalfall in vielen Arztpraxen (Seema 2020). Auch Terminportale wie Doctolib haben einen Boom erlebt, waren doch viele Menschen auf der Suche nach impfenden Ärzt:innen. Doch auch unabhängig von der Pandemie wird viel Geld in diesen Bereich investiert. Die Versprechen sind gigantisch: verbesserte Effizienz durch digitale Abläufe, weniger Bürokratie, neue Erkenntnisse durch aggregierte Daten, mehr Selbstbestimmung der … Weiterlesen
Leseprobe 4: Die Politik des Flaschenhalses als Waffe
/**** Ihr kennt das Spiel. Immer wenn es zu den Ereignisse in der Welt passende Passagen aus meinem Buch gibt, die helfen, sich in der aktuellen Situation zurechtzufinden, hau ich sie als Leseprobe heraus. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird Russland derzeit von der Weltgemeinschaft mittels der Politik des Flaschenhalses deplattformisiert. Dass Plattformen immer wieder als geopolitische Waffe verwendet werden, ist auch Thema meines Buches. In diesem Abschnitt erkläre ich die Politik des Flaschenhalses als Waffe, die Russland derzeit überall zu spüren bekommt. Er findet sich in Kapitel 6: Plattformpolitik und dort im Unterkapitel Netzsicherheitspolitik. *****/ Als Hillary Clinton 2010 düpiert vor der Weltöffentlichkeit stand, weil Wikileaks einen Großteil der vertraulichen Kommunikation ihres Ministeriums öffentlich gemacht hatte, setzte sie trotz ihres emphatischen Bekenntnisses zur Internetfreiheit alle Hebel in Bewegung, um Wikileaks mundtot zu machen. Einer der ersten Angriffspunkte waren Wikileaks’ Finanzströme. Das US-Außenministerium machte Druck bei den Dienstleistern, bei denen Wikileaks Kunde war: PayPal, Bank of America, Mastercard, VISA und Western Union. Sie alle froren daraufhin die Konten von Wikileaks ein und beendeten die Geschäftsbeziehungen.1 Bis dahin war vor allem China dadurch aufgefallen, dass es in netzaußenpolitischen Auseinandersetzungen auf die Politik des Flaschenhalses setzte, während die USA sich damit rühmten, ein freies und offenes Netz … Weiterlesen
Leseprobe 3: Cybersouveränität versus Infrastrukturhegemonie
/***** Da gerade eine spannende Debatte über „digitale Souveränität“ anlässlich des „Sovereign Tech Fund“ tobt (Twitterthread hier), will ich sozusagen als ein weiteres Puzzelteil, den passenden Abschnitt aus meinem Buch beisteuern. Es ist teil des sehr langen und ausführlichen Kapitels zu Plattformpolitik und dort vom Teil über Netzaussenpolitik. Durch diese Einbettung sind eventuell einige Begriffe nicht ganz geläufig, was sich aber leicht beheben lässt, indem man das ganze Buch liest. *****/ Nicht alle Staaten lassen sich durch die Plattformsouveränität und Infrastrukturhegemonie der großen Tech-Unternehmen beeindrucken, was insbesondere das Scheitern von Google in China bezeugt. Als das Unternehmen dort 2006 seine Präsenz ausbaute und eine speziell auf die Bedürfnisse der chinesischen Regierung optimierte Suchmaschine unter google.cn startete, waren alle Beteiligten erst einmal optimistisch. Google hatte von Microsoft den taiwanesischstämmigen Kai-Fu Lee abgeworben – der als erfolgreicher USA- Auswanderer in China bereits eine Legende war –, um das Geschäft in Peking aufzubauen. Das Unternehmen würde den Zensuransprüchen der chinesischen Regierung nachkommen, verzichtete aber auf Services, die persönliche Daten in China gespeichert hätten, wie Gmail, blogger.com oder Picasa – allein um Anfragen der chinesischen Regierung nach der Herausgabe dieser Daten vorzubeugen. Die Zensurmaßgaben wurden derweil von Google eigenwillig umgesetzt. So blendete google.cn den Nutzer*innen immer auch … Weiterlesen
Leseprobe 2: Das Regulierungparadox
Gestern wurde vom Bundestag die Umsetzung unter anderem der sogenannten Uploadfilter beschlossen. Damit kommt eine sehr umstrittene EU-Gesetzgebung konkret in Deutschland an, deren Spitzen immerhin im deutschen Gesetzgebungsprozess etwas abgemildert werden konnten. (Danke, u.a. Julia Reda!) Da ich über das Thema auch in meinem neuen Buch geschrieben habe, veröffentliche ich zu diesem Anlass den passenden Auszug. Anhand der Uploadfilter und anderer Regulierungsvorhaben erkläre ich das Regulierungsparadox. Die Stelle findet sich im Kapitel 6 – Plattformpolitik, Unterkapitel Netzaußenpolitik, S. 229 – 237. Das Regulierungsparadox Am 13. Februar 2019 einigte sich die EU auf eine neue Urheberrechtsrichtlinie. Gegen diese Richtlinie hatte es im Jahr zuvor viel Protest gegeben. Junge Leute, vor allem in Deutschland, gingen zu Tausenden auf die Straßen. Gegenstand der Kritik war vor allem Artikel 13 – in der endgültigen Fassung Artikel 17 – der EU-Urheberrechtsrichtlinie, in dem es um die sogenannten »Uploadfilter« geht. Die Regelung verlangt von Internetdiensten, insbesondere von Plattformen für nutzergenerierte Inhalte, alle Inhalte vor der Veröffentlichung auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Um dem Gesetz zu entsprechen, müssen Plattformen also technische Infrastrukturen bereithalten, die ankommende Daten mit den Einträgen einer vorher eingerichteten Datenbank von urheberrechtlich geschützten Werken abgleichen, bevor sie sie zur Veröffentlichung freigeben. Ein solches Verfahren … Weiterlesen
Leseprobe: Die Macht der Plattformen
Heute erscheint mein neues Buch, Die Macht der Plattformen. Wie mein erstes Buch, basiert es in vielerlei Hinsicht auf den in diesem Blog entwickelten Thesen. Die Kernthese des Buches ist, dass eine spezifische Form der Macht gibt, die ich Plattformmacht nenne und die ich in dem Buch im Detail analysiere. Plattformmacht besteht aus zwei Teilen: Netzwerkmacht und Kontrolle. Die Kontrolle wiederum kommt als unterschiedliche Hebel daher, die ich im 4. Kapitel darstelle. Unter diesen sechs Kontrollregimes findet sich zum Beispiel die Kontrolle des Zugangs zur Plattform (Zugangsregime), die Kontrolle über die Sichtbarkeit von Dingen auf der Plattform via Algorithmen (Queryregime), das Interfaceregime, das Verbindungsregime und so weiter. Das erste Regime, dass ich bespreche, ist das Infrastrukturregime. Der hier veröffentlichte Auszug aus dem Buch stellt es vor: Das Infrastrukturregime 2014 gibt Facebook bekannt, über 50 neue Geschlechterkategorien im Registrierungsprozess einzuführen.1 Das Medienecho ist riesig. Egal, ob die jeweiligen Kommentator*innen den Schritt begrüßen oder problematisieren, wird er doch allgemein als ein einschneidendes Ereignis gelesen. Und zwar zu Recht. Denn digitale Infrastrukturen prägen Gesellschaften. Das gilt nicht nur für die Geschlechterfrage. Das größte soziale Netzwerk strukturiert mit seinen Kategorien und Klassifikationen unseren kulturellen Kosmos ganz entscheidend mit. Egal, ob »es ist kompliziert« als … Weiterlesen
Warum die Festlegung auf die dezentrale Variante der Corona-Warn-App ein Fehler war
Nächste Woche soll die Corona-Warn-App herauskommen. Es gab die letzten Wochen viele Diskussionen über technische Hintergründe, vermeintlichen Gefahren für die Privatsphäre und den Sinn und Unsinn dieser App. Ich habe mich lange Zeit eher auf der Befürworterseite der App wiedergefunden. Nun sind aber Erkenntnisse über das Virus bekannt geworden, die die ganzen Dikussionen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass insbesondere das Beharren auf dem dezentralen Ansatz ein entscheidender Fehler war, der das ganze Unterfangen jetzt nahezu sinnlos gemacht hat. Aber von vorn. Kontaktverfolgung Contact Tracing – oder Kontaktverfolgung – ist grundsätzlich erstmal eine sehr sinnvolle und effektive Maßnahme zur Pandemiebekämpfung. Dabei wird die Kontakthistorie von erkrankten Menschen erfragt und diese Kontakte werden dann ihrerseits gebeten sich zu isolieren. Es geht darum, Infektionsketten zu durchbrechen, also dafür zu sorgen, dass Leute, die in Gefahr sind, sich angesteckt zu haben, ihrerseits niemanden mehr anstecken. Gerade bei Covid19, bei dem Ansteckungen oft symptomfrei passieren, ist ein solches Vorgehen besonders wichtig. In der Praxis geschieht das erstmal manuell, mit speziell geschultem Personal. Sie interviewen die kranke Person und sie telefonieren hinter den Kontakten hinterher. Diese Praxis hat mehrere Probleme: 1. Sie ist sehr personalaufwändig, die Gesundheitsämter mussten dafür bereits … Weiterlesen
Die große Manipulations-Erzählung
/***** Dieser Text erschien im Magazin Hohe Luft Kompakt (Sonderheft 1/20). Dies ist die unredigierte Version, aber dafür mit Fußnoten. ******/ Es war im Jahr 1957, als ein Amerikaner namens James Vicary herausfand, dass man Menschen mittels bewusst kaum wahrnehmbarer Botschaften manipulieren kann. Blendet man zum Beispiel im Kino für den Bruchteil einer Sekunde die Botschaft „Esst mehr Popcorn“ ein, steigt nachweisbar der Popcorn-Umsatz. Vicarys Studie zu „Sublimnal Stimuli“ wurde weltberühmt. Allerdings nicht durch Vicary selbst, sondern über ein Buch, das im selben Jahr Furore machte: „Die Geheimen Verführer“ von Vance Packard.1 Dort wird unter anderem Vicarys Studie beschrieben, natürlich negativ, als Warnung an uns alle. Die Welt war zutiefst beunruhigt und das Wissen um Sublimnal Stimuli hat sich bis heute im kulturellen Unterbewusstsein festgebissen. Im Kultfilm Fight Club von 1999 hat sie einen Auftritt als Tyler, der im Film als Kinovorführer jobbt, einzelne Bilder aus einem Porno in einen Hollywoodfilm schneidet, woraufhin die Kinder anfangen zu weinen. Wie viele spannende Geschichten, hat auch diese einen Haken. Das Experiment von James Vicary war rein erlogen und „Sublimnal Stimuli“ gibt es nicht. Obwohl Vicary in einem Interview von 1962 selbst zugab, das Experiment zur Steigerung des Umsatzes seines Marketingunternehmens erfunden zu … Weiterlesen
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An Unsettling Question for Digital Capitalism
/****** This Essay was first published in German at „Aus Politik und Zeitgeschehen“ and also as an extended version on this blog. The translation was provided by Lisa Contag. ******/ A spectre is haunting (not only) Europe — the spectre of digital capitalism. And as is fitting for the times we live in, it comes in many shapes and colours: as information capitalism, data capitalism, platform capitalism, surveillance capitalism and cognitive capitalism. A multitude of digital capitalisms have come into existence, however, they essentially indicate the same thing: that we are witnessing fundamental changes. And this exact point leads me to the unsettling question: is this still capitalism? When using the word “unsettling”, I don’t mean the discomfort the authors of numerous and diverse characterizations of digital capitalism obsess about. My goal is not to demonstrate that capitalism’s new digital variety is worse than all its predecessors. My unease rather concerns capitalism itself. I figuratively place my hand on its shoulder, as it were, and quietly ask: “Everything ok there, capitalism?” While many authors identify capitalism to have further radicalized in its digital version, my impression is the opposite. I believe capitalism isn’t doing well at all in the digital … Weiterlesen