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Der W. (auch: „Krise des Archivs“) beschreibt eine Reihe von Phänomenen, die im Jahre 2011 und darüber hinaus die politischen Landschaft der ganzen Welt verändert haben. Aufstände, Proteste, Revolutionen und Wutbürgertum brachen wie ein Tsunami über die Institutionen weltweit herein und stellten diese mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger erfolgreich in Frage. Dieses Blog versucht diese Ereignisse im Rahmen des Kontrollverlusts einzuordnen.
Wie der Name W. schon sagt, basiert der W. auf den Mechanismen des Kontrollverlusts. Er tut es aber auf einer Ebene höherer Ordnung. Indem der Kontrollverlust die Kontrolle über Daten durch die schiere Komplexität der Verknüpfung der Query verunmöglicht, sorgt er dafür, dass Information unreduziert flottieren kann. Die dadurch dramatisch gestiegene gesellschaftliche Komplexität überfordert die jeweiligen Institutionen, die dafür geschaffen wurden, die Komplexität zu reduzieren. Je starrer die Institutionen auf ihrer Aufgabe beharren, desto heftiger bersten sie unter der Komplexitätsdiskrepanz.
– Das Konzept wurde eher vage das erste Mal in einem Blogpost auf mspr0.de behandelt.
Tendentiell kann man sagen, dass jede Art von Machtakkumulation gefährdet ist. Und je stärkeren Druck sie auf Informationssysteme ausüben müssen, desto stärker sind sie gefährdet. Der Kontrollverlust wird früher oder später alle Metastrukturen nivellieren, denn er ist genau das, was sich statt Organisation und Struktur einsetzen will.“
– Weiterentwickelt wurde die These in einem Vortrag für die re:publica 2011: „Was ist ein Kontrollverlust“, dessen Thesen in dem Artikel „Die Institution und der Dämon“ Eingang fanden:
Dies ist der eigentliche Clash, den wir Anfangen zu beobachten: der zwischen unreduzierter Komplexität des Internets und der reduzierten Komplexität der Institutionen. Je größer diese Diskrepanz, desto disruptiver der Konflikt.
– Unter dem Topic der „Krise des Archivs“ habe ich versucht den Faden wieder aufzunehmen: „Die Query und die Krise des Archivs.“
Die Krise der Institutionen und der Parteien ist eine Krise ihrer Legitimität. Niemand fühlt sich durch das grobschlächtige Raster noch hinreichend repräsentiert. Die Krise der Repräsentation ist also auch nur eine Abwandlung der Krise des Archivs.
– Ich spekuliere, dass der W. in einer neue Gesellschaftsform führt: Die Queryology – einer Art „gesellschaftlicher Singularität“, in der die Vergesellschaftungsprosse über die ordnende Query von statten gehen.
Die Query ist es, die die Institutionen ersetzen kann. Sie bringt zusammen, was zusammen gehört, sie ermöglicht jederzeit, auf neue Aufgabenstellungen flexibel zu reagieren, Ad-hoc-Gemeinschaften für jede Lebenslage zu erschaffen, und sie entbindet uns von der Pflicht einer Gruppe jedweder Art anzugehören, uns mit ihr zu einigen – also regiert zu werden.
– Es zeichnet sich ab, dass der Frontverlauf der Auseinandersetzungen um den W. langfristig zwischen den Nationalstaaten mit ihren Kontrollansprüchen und den Interessen einer sich im Internet bildenden Weltöffentlichkeit verläuft. Siehe 10 Thesen zum Neuen Spiel. Die Auflehnung gegen das Regiertwerden wird u.a. getrieben von einem Gespür für die Inadäquatheit nationalstaatlicher Lenkungsansprüche. Der Versuch der Staaten, Souveränität zurückzuerlangen wird mit der Zeit verzweifelter und gewalttätiger werden.
Das Neue Spiel heißt “Vernetzte Weltöffentlichkeit vs. Staaten”. Dazwischen stehen die Unternehmen, gespalten zwischen ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kunden und den Gesetzen ihres Landes. Im Neuen Spiel wird es auch darum gehen, sie auf unsere Seite zu ziehen.
Bezüge zu anderen Begriffen dieses Blogs:
– Der W. ist ein Kontrollverlust höherer Ebene.
– Der W. kann als „Krise des Archivs“ beschrieben werden und ist somit Teil der Umwälzungen, die die Queryology in der Welt verursacht und so zu einer von ihr geformten Ordnung führt.
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