Die Webregierung, Teil I – Der Tod des Open Web

Auf unserem Talk auf der re:publica haben Sebastian Gießmann und ich beschrieben, wie in den letzten 10 Jahren eine Transition vom Netzwerk hin zur Plattform stattgefunden hat. Plattformen entstehen, wenn sich Netzwerke verstetigen und mittels Ausprägung von bürokratischen Medien wie Standards, Protokollen – oder meistens: einem zentralistischen Regime – institutionalisieren. Das hat zur Folge, dass auf der einen Seite Handlungsspielräume einschränkt, dafür aber neue Sicherheiten geschaffen werden. Diese Sicherheiten ermöglichen dann wieder neue, oft komplexere Nutzungspraktiken.

Der Siegeszug der zentralistischen Plattformen steht dabei ganz besonders im Widerspruch zu vielem, was Ende der 90er Jahre unter dem Paradigma des Netzwerkes gefeiert wurde. Die erfolgreichsten Plattformen sind heutzutage zentralistisch, kontrollwütig und in sich geschlossen.

Eines der prominenteren Opfer dieser Plattformisierung ist das Open Web, also die Idee eines rein auf offenen Standards basierenden Netzwerkes von einander unabhängig betriebener Websites. Die Merkmale Offenheit und Dezentralität haben das Web zuvorderst attraktiv gemacht und zu seinem Siegeszug geführt. Sie haben aber auch Player hervorgebracht, die es nun massiv bedrohen. Die Revolution frisst ihre Eltern.

Facebook hat einmal als eine Website unter vielen Millionen angefangen. Doch dieses Netzwerk im Netzwerk saugte über die letzten Jahre die Usecases des Webs und damit die Nutzer/innen fast vollständig in sich auf. Würde man Facebook weiterhin als Teil des Webs betrachten (das ist zweifelhaft, da heute weit über 50% der Nutzer/innen per mobiler App auf Facebook zugreifen), dann hat Facebook ein großes schwarzes Loch inmitten des offnen Webs gerissen. Es gibt ein paar Anschlussstellen – öffentliche Posts können noch verlinkt werden – aber der Großteil des Facebookuniversums bleibt in den Untiefen der Privacyeinstellungen seiner Nutzer/innen verborgen.

Und damit auch vor Google. Google, die mit ihrer Suchmaschine eine gewisse Symbiose mit dem Open Web pflegen ist das schon lange ein Dorn im Auge. Sie wissen eigentlich gar nicht mehr, was im Internet passiert, weil der Großteil der relevanten Signale (Wer linkt auf was, welche Artikel sind heiß diskutiert? Sowie natürlich der ganze Content, der nur auf Facebook stattfindet) ihren Crawlern verborgen bleibt. Der Versuch, Facebook mit Google+ eine Entsprechung entgegenzusetzen muss heute als gescheitert gelten.

Auf Lange Sicht bedeutet das scheitern des Open Web, dass Facebook den Werbemarkt auf dauer dominieren wird, während Google immer mehr an Relevanz verlieren wird.

Es gibt viele Gründe für das Scheitern des Open Web. Ich möchte an dieser Stelle vier systemische Gründe nennen, die ich für die wesentlichsten halte:

1. Transaktionskosten

Eine Website zu betreiben war immer schon mit einer Menge Aufwand verbunden. Man braucht einen Webspace und eine Domain, das kostet Geld. Man muss sich mit Technik auskennen, zumindest soweit, um ein Content Mangementsystem installieren und warten zu können. Hinzu kommen viele rechtliche Unsicherheiten. Wie ist das mit der Impressumspflicht? Es drohen Abmahnungen wegen Urheberrechts-, Wettbewerbsrechts- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Hinzu kommen ab 2018 eine ganze Latte neuer Rechtsunsicherheiten durch die neue Datenschutzgrundverordnung der EU. Der Jugendmedienstaatsvertrag wird demnächst weitere Unheile bringen. Auch ich überlege ernsthaft 2018 meine Domains zu kündigen.

Die Rechnung ist recht einfach: Je größer der regulatorische Druck und die rechtliche Unsicherheit im Netz wird, desto unattraktiver wird das Open Web und umso attraktiver werden zentralistische Plattformen. Eine Plattform wirkt wie ein Puffer, der vor den meisten rechtlichen Angriffvektoren schützt. Notice and Takedown mag man als orwellsches Kontrollinstrument der Urheberrechtslobby verteufeln. Es schafft aber für millionen Menschen überhaupt die nötige Rechtssicherheit auch ohne Jurastudium im Internet veröffentlichen zu können. Auch um Datenschutz muss ich mich als Betreiber von einer Facebookpage nicht kümmern (es sei denn, ich lebe in Schleswig-Holstein ). Es ist alles geregelt. Ob gut oder schlecht, liegt nicht in meiner Verantwortung.

2. Features

Das ist ziemlich offensichtlich, aber eigentlich auch erstaunlich: Facebook ist in Sachen Features und Usability allen Ansätzen aus dem Open Web meilenweit voraus. Und selbst WordPress hat es als populärstes Content Mangement System trotz seiner großen „installed Base“ nicht geschafft, featuremäßig auch nur in die Nähe zu kommen. (Und nein. Ich will über Diaspora nicht reden. Wenn ihr über Diaspora reden wollt, geht bitte zu Diaspora. Dort gibt es bestimmt Leute, die das interessiert.)

Es scheint so zu sein, dass ein Unternehmen mit genügend Ressourcen und zentralem Produktmangement einfach schneller und effektiver populäre Produkte und Features entwickeln kann, als eine gegebene Open Source Community.

3. Kontrolle

Noch etwas anderes ist auf Facebook vorhanden, dass es im Open Web nicht gibt: Kontrolle. An anderer Stelle habe ich ausgeführt, warum die geschlossenen Plattformen auch eine Antwort auf den Kontrollverlust sind. Sie heben den Kontrollverlust nicht auf, aber sie mindern in gewisser Hinsicht seine Wirkung bei vielen Anwendungsfällen. Urheber/innen und Verwerter/innen bekommen zwar ihr altes Geschäftsmodell nicht zurück, aber finden wieder einigermaßen kontrollierbare Absatzwege. Nutzer/innen finden zwar keine Privacy, dafür aber Privacyeinstellungen. Den meisten reicht das. All gibt es nicht im Open Web, denn es lässt sich nur sinnvoll umzusetzen, wenn ein zentrales Regime eine gewisse Kontrolle auch durchsetzen kann.

4. Tragödie der Allmende

Dieser Punkt ist verwandt mit dem Oberen, geht aber darüber hinaus. Ausnahmsweise ist mal nicht die Überlegenheit der Plattform schuld, sondern das Open Web selbst. Es begeht in gewisser Weise seit vielen Jahren einen schleichenden Selbstmord.

Es ist verdammt hässlich geworden. Man traut sich kaum noch irgendeinen Link zu klicken. Die Websites laden ewig, sind zugedeckt mit nerviger Layover-Werbung, es werden etliche Skripte und Tracker geladen, die die Lüfter zum Glühen bringen, etc. Kurz: es wird zunehmend unmöglich, überhaupt noch Inhalte im Web zu konsumieren.

Es gibt einen Begriff dazu aus der Ökonomie. Tragedy of the Commons. Es ist die allgemeine Beobachtung, dass Gemeingüter mit der Zeit mittels Überwirtschaftung durch egoistische Akteuere zu Grunde gehen. Was überall auf der Welt mit Wiesen, Wäldern und Äckern geschah, passiert derzeit mit dem Open Web. Die offene Struktur hat neben all den positiven Praktiken auch negative ermöglicht. Niemand kann Einschränken was jemand auf seiner Website treibt. Und deswegen wurde viel gemacht, was Geld bringt. Und dann wurde mehr gemacht, was Geld bringt. Und dann noch mehr.

Die Quittung bekommen die Websites zwar derzeit durch die Massenverbreitung von Adblockern, aber das wird wiederum zu Abwerhmaßnahmen führen. Am Ende bleiben wahrscheinlich auch nur die Paywalls hinter die sich die Verlage flüchten, also eine weitere Abkehr vom Open Web.

Doch an dieser Stelle kommen die Plattformen wieder ins Spiel. Dass Apple mit News als auch Facebook mit Instant Articles jetzt den Verlagen das Angebot machen, bei ihnen Unterschlupf zu finden, ist die Antwort auf die selbstverschuldete Miesere. Auf den Plattformen sind die Möglichkeiten der Verlage extrem eingeschränkt. Aber gerade das könnte sie retten, so wie schon iTunes die Musikindustrie vor dem trotzigen Freitod bewahrte. Nachrichten werden so wieder lesbar und die Plattformen ermöglichen den Verlagen dennoch ein Einkommen, indem sie sie an den Webeeinnahmen (Facebook) oder Einnahmen (Apple) beteiligt. Ob das klappt, steht noch nicht aus, aber die Chancen stehen nicht schlecht.

Wenn die Rechnung aufgeht, wäre dann wohl das Ende des Open Web, denn sonst bleibt nicht mehr viel übrig. Klar, Websites werden nicht von heute auf morgen abgestellt. Das Usenet gibt es ja auch immer noch. Aber wenn wir dann in 10 Jahren vom offnen Web erzählen, wird es so klingen wie heute, wenn die Nerds umdie 40 von ihren ersten Ausflügen in eine Mailboxen erzählen.

Ich persönlich habe für mich das Open Web bereits abgehakt. Es war eine gute Idee. So wie der Kommunismus eigentlich eine gute Idee war.

Aber es soll nicht um mich gehen. Was ich tue oder lasse hat eh keine Auswirkungen. Viel interessanter ist, dass es noch einen mächtigen Akteur gibt, der das Web nicht sterben lassen will: Google.

Google verdient nach wie vor einen Haufen Geld mit dem open Web und macht sich wahrscheinlich auch deswegen auf, das Web vor sich selbst zu retten. Zu diesem Zweck reißt das Unternehmen aggressiver denn je die Führungsrolle an sich. Wie man etwas regieren kann, dass eigentlich unregierbar ist, werde ich im nächsten Teil beschreiben.

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