Archiv der Kategorie: Queryology

Was ist eine Plattform? – Ein Neuanfang

Vor ein paar Tagen habe ich zusammen mit Sebastian Gießmann auf der re:publica einen Talk gehalten. Der Titel war „Von der Netzwerk- zur PLattformgesellschaft„. Neben vielen neuen Gedanken zu Plattformen und ihrer Rolle in unserer Gesellschaft habe ich mich auch an einer neuen Plattformdefinition versucht, die aber in der Kürze der Zeit etwas unterbelichtet blieb. Eine genauere Definition plus Erklärung will ich hier nachliefern. Aber ersteinmal der Talk: Selektion(-Entscheidung/-Option/-Prozess) Selektion bedeutet schlicht: so und nicht anders. Aus einem Raum an Möglichkeiten (Kontingenz) wird sich auf eine der Möglichkeiten (Selektionsoption) festgelegt (Selektionsentscheidung). Akkumulierte Selektionsentscheidungen können die anschließenden Selektionsoptionen so weit eingrenzen, dass wir von einem definierten Selektionsprozess (oder Schnittstelle) sprechen können. Plattformen Plattformen sind solche akkumulierten Selektionsentscheidungen, die für viele Interaktionsteilnemer/innen kohärente Selektionsprozesse bereitstellen (entweder durch zentrale Steuerung oder protokollarische Festlegung), um die Anschlussfähigkeit weiterer Selektionen zu ermöglichen. Netzwerkeffekte Die Plattform generiert Netzwerkeffekte in dem Maße, wie die vorgegebenen, kohärenten Sekektionsprozesse für möglichst viele Interaktionsteilnehmer/innen Selektionsoptionen eröffnet. Netzwerk und Plattform Netzwerk und Plattform sind keine sich ausschließenden Konzepte. Im Gegenteil. Plattformen ermöglichen Netzwerke, indem sie die Interoperabilität der Teilnehmer erst bewerkstelligen. Das gilt für das Internet genauso, wie für Facebook. Spielen wir das mal anhand der Vortragsbeispiele durch: Schon das Telefon, … Weiterlesen

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Die Impfgegner und die Krise der Institutionen

Vier Jahre ist das jetzt her, dass Gunter Dueck auf der re:publica 2011 seinen viel gefeierten Talk „Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem“ hielt. Höhepunkt seines Vortrags („So jetzt kommt das schwere Geschütz“) war die Frage: „Glauben Sie nicht, dass wenn jemand eine Krankheit hat, dass er dann nach 2 Stunden surfen 10 mal mehr weiß, als sein Arzt?“ Ich aber saß in meinem Sitz und ich konnte mich der schlichten wie unaufdringlichen Logik dieser Frage nicht entziehen. Wir kennen das alle: 10 Ärzt/innen 12 Diagnosen. Jeder kennt Fälle, in dem eine Patient/in tatsächlich die Diagnose richtiger einschätzte als der/die Arzt/in. Und hier nun stand Gunter Dueck und gab eine einfache Erklärung. Das Internet enthält doch bereits alles Wissen. Wer genügend Motivation mitbringt, (und die fehlt Betroffenen selten), kann sich (zumindest in vielen Fällen) selbst besser diagnostizieren, als ein Allgemeinarzt, der im Zweifelsfall vor vielen Jahren mal irgendwo eine Vorlesung zum Thema wieder vergessen hat. Ich sehe Duecks Argument heute nicht widerlegt, aber es wird immer offenbarer, dass es mehr braucht, als nur Internet und Motivation. Etwas, was Dueck und auch ich damals implizit vorausgesetzt gesetzt haben: das Vorhandensein von kritischem Denken, eine gewisse wissenschaftsmethodische Bildung. Damit meine ich die Fähigkeit, kritisch … Weiterlesen

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Die Struktur geheimen Wissens und sein Staat

Gerade spielen sich in der Politik Szenen ab, die sehr gut Aufschluss darüber geben, wie die eigentliche machtpolitische Konstellation zwischen Geheimdiensten und den sie bezahlenden Staaten aufgebaut ist. Auslöser ist der NSA-Untersuchungsausschluss des deutschen Bundestages. Es war schon oft bemängelt worden, dass vertrauliche Informationen und Dokumente im Zuge der Untersuchung ans Tageslicht kamen. Nun aber macht einer der wichtigsten Partner des BND Ärger. Der britische GCHQ droht mit der Kündigung der Zusammenarbeit und nun wird befürchtet, dass der BND dem Untersuchungsausschuß aus diesem Grund Akten vorenthalten könnte. Wir sehen also einen BND, der zwischen seiner operativen Verpflichtung des Staates gegenüber, dessen Behörde er immer noch ist und der Loyalität zu seinen britischen Partnern hin und her gerissen ist. Wir sehen, dass eine Behörde ihre politische Aufsicht in Frage stellt. Und das ist doch … ganz interessant. Nun ist es keine Neuigkeit, dass das Konzept Geheimdienst strukturell der Funktionsweise eines demokratischen Staates widerspricht und dass institutionelle Kontrollversuche deswegen immer wieder scheitern. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung zur Gewährleistung der Arbeit von Geheimdiensten ist die Sollbruchstelle seiner demokratischen Einbeziehbarkeit. Aber das ist nicht der einzige Grund. Die letzten Jahre wirkten weitere, externe Kräfte auf die besagte Konstellation und entfalteten eine enorme Sogwirkung auf … Weiterlesen

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Filtersouveränität als Politik

Im zweiten Teil meines Buches, in dem ich die Strategien in Zeiten des Kontrollverlusts entwickle, geht es häufig um die sogenannte „Filtersouveränität„. Also die Souveränität zu entscheiden, über welchen Mix von Quellen ich mich informiere aber auch wie ich mich vor unliebsamen Informationen abschotte. Leider hat in dem Buch eine Strategie der Filtersouveränität keinen Platz gefunden: Die Filtersouveränität als Politik. Das will ich hier – auch aus aktuellem Anlass – nachholen. Der Einfachheit halber nehme ich meine eigene Politik der Filtersouveränität zum Beispiel. Twitter ist seit 2007 die Schaltzentrale meines gesamten Onlinewirkens. Hier investiere ich nach wie vor die meiste Aufmerksamkeit, hier laufen die meisten Informationsstränge zusammen und hier gebe ich auch die meisten Informationen weiter, die mich bewegen. Auch wenn ich hier und da damit hadere, bleibt Twitter meine Onlineheimat – nein, noch viel mehr: es ist die Erweiterung meines somatischen Nervensystems ins Internet hinein. Jedes Following ist ein Rezeptor, der mir neuronartig Impulse aus dem Informationsstrom sendet, den wir Welt nennen. Jeder dieser Rezeptoren ist einzigartig und reagiert auf verschiedene Informationssarten auf unterschiedliche Weise. Wie ich folge Wenn ich jemandem folge, bedeutet das erstmal nur, dass ich mich dafür interessiere, was die Person zu sagen hat. Es bedeutet … Weiterlesen

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My Book: Digital Tailspin – Ten Rules for the Internet After Snowden

Privacy, copyright, classified documents and state secrets, but also spontaneous network phenomena like flash mobs and hashtag revolutions, reveal one thing – we lost control over the digital world. We experience a digital tailspin, or as Michael Seemann calls it in this essay: a loss of control or Kontrollverlust. Data we never knew existed is finding paths that were not intended and reveals information that we would never have thought of on our own. Traditional institutions and concepts of freedom are threatened by this digital tailspin. But that doesn’t mean we are lost. A new game emerges, where a different set of rules applies. To take part, we need to embrace a new way of thinking and a radical new ethics – we need to search for freedom in completely different places.   You can order a free copy here! * Digital Tailspin – Ten Rules for the Internet After Snowden is basically the second part of my German book, „Das Neue Spiel“. The central idea of both books is that the digitalization of the world has changed the basic mechanics of how things work, i.e., society. The main issue: We cannot control the flow of data and information in … Weiterlesen

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zkmb.de: Kontrollverlust und Kunst – Ein Werksbericht

/****** Im Laufe der Jahre, in der die Thesen zum Kontrollverlust die Runde machten, erreichten sie immer mal wieder auch die Kunst. Kunst – sofern sie es als ihre Aufgabe sieht, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu reflektieren – arbeitet sich auch gerne an aktuellen Theorien ab. Und so wurde ich hier und da angesprochen, um mitzudenken, mitzuschreiben und mitzuarbeiten. Hier eine Art Werksbericht über diese Berührungspunkte: ******/ Herr KEINER leidet am KEINERSyndrom. Eines der vielen Symptome dieser Krankheit ist, dass Herr KEINER nicht mehr selbstständig entscheiden kann, was privat und was öffentlich ist. Seine Daten breiten sich unkontrolliert aus und haben das Haus befallen. Ich weiß, sie wollen sich das jetzt anschauen aber das ist nicht ganz ungefährlich. Das KEINERSyndrom ist hoch ansteckend! Zu ihrem Schutz und dem von Herrn KEINERs Privatsphäre wurde staatlicherseits ein Datenschützer – also ich – bereitgestellt. Ich darf Sie also darum bitten, meinen Anweisungen folge zu leisten, vor allem im Interesse von Herrn KEINER aber auch im Interesse der öffentlichen Ordnung.“ Abb. 2: Foto: Ingolf Keiner [Weiterlesen >>>]  

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23andme: Wie ich für todkrank erklärt wurde und mich wieder gesund debuggte

/***************** In den Feuilletons dieses Landes wird ja immer gerne über „die Algorithmen“ geschimpft, die unser Leben bestimmen und furchtbar böse sind. All diese Artikel zeichnen sich durch eine bodenlose Unkenntnis der Materie aus, die sich in der Undifferenziertheit ihrer Analysen niederschlägt. Das ist schade, denn nichts bräuchte es dringender als kompetente und entschiedene Algorithmenkritik. Heute habe ich die Ehre, meinen ersten Gastautor begrüßen zu dürfen. Lukas F. Hartmann (@mntnm) ist Programmierer, Startupgründer und wie ich 23andme-Kunde, nur schon ein paar Jahre länger. Er hat eine spannende Geschichte zu erzählen, die wirklich zu denken geben sollte. Update 25.07.13: Dank konstruktiver technischer Kritik von @moeffju haben wir den Absatz 2 etwas überarbeitet. Dort ist jetzt nicht mehr von einer „Genpool-Norm“ die Rede, sondern vom Referenzgenom. *****************/

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Komplexität: Handle mit es!

Christian Stöcker hat kürzlich auf Spiegel Online eine Horrorvision eines zukünftigen Internets an die Wand gemalt. Im Gegensatz zu jenen, die meinen, dass das Internet vor allem als anarchischer, unkontrollierbarer Raum aufzufassen sei (also zum Beispiel ich), zeigt er gekonnt, wie die digitalen Technologien in Wirklichkeit ein enormes Kontrollpotential haben: „Es gibt eben doch einen zentralen Unterschied zwischen der realen Welt und der digitalen. Im Netz ist absolute Rechtsdurchsetzung möglich.“ Das kommt dem Raunen Deleuzes sehr nah, der durch die Computer die „Kontrollgesellschaft“ am Horizont zu erkennen glaubte, die die Foucaultsche Disziplinargesellschaft ablösen würde. Ohne, dass ich Christian Stöcker oder Deleuze wirklich eine technische Argumentation entgegenhalten könnte, möchte ich an dieser Stelle meinen unerschütterlichen Glauben ausdrücken, dass dem nicht so kommt. Ja, ich glaube an den Kontrollverlust, und nein, ich glaube nicht an die Kontrollgesellschaft. Ich spreche von „Glauben“, denn ich bin mir bewusst, dass meine Zuversicht auf Annahmen fußt, die wahrscheinlich nicht beweisbar sind, die aber unerschütterlich zu meinen Glaubenssätzen gehören und aus denen sich sowohl meine Zuversicht für die Zukunft, als auch meine vermeintliche „Radikalität“ speisen.

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Die echte Facebookfalle und wie wir wieder herauskommen

„Ich bin, der ich bin.“ (Gott) „Ich lebe auf meinen eigenen Credit hin, […]“ (Nietzsche) „Bezahlen sie doch mit Ihrem guten Namen.“ (American Express) Wenn über Facebook geschimpft wird, dann meistens, weil Leute Angst um ihre Privatsphäre haben. Oder neuerdings, weil sie sich in einer selbsterschaffenen und von Facebook manipulierten Filterbubble gefangen wähnen. Selten aber wird Facebook für das kritisiert, weswegen es wirklich gefährlich ist: für das, was es gut macht. Facebook hat anscheinend einiges gut gemacht, denn über 800 Millionen Leute weltweit vertrauen sich dem Dienst an. Facebook ist so groß wie das ganze Internet in 2004 war und es wächst ständig weiter. Durch diese extreme Durchdringung aller Gesellschaften werden neue Kommunikationsformen möglich. Demonstrationen – nicht nur in arabischen Staaten, werden hier organisiert. Kampagnen von NGOs orientieren sich schon lange an Facebook als Plattform. In den USA ist es bereits Standard, sich in der Facebookgruppe des Mietshauses zu registrieren, wenn man eine Wohnung bezieht. Das alles hat viele Vorteile, erhöht die Kommunikation in Gemeinschaften und senkt die Transaktionskosten zum gemeinsamen Handeln. Das alles ist gut, kaum einer will darauf verzichten, doch Facebook macht sich dadurch unersetzlich. Facebook reicht nicht nur tief in die Offlinegemeinschaften herein, sondern breitet sich auch … Weiterlesen

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Vortrag: Kontrolle und Kontrollverlust

/***** Am 8. Dezember 2011 hielt ich den Eröffnungsvortrag auf der Konferenz „Neuste Medien unter Kontrolle?“ in Freiburg. Ich nutzte die Gelegenheit, etwas tiefer – das heißt philosophischer – in das Problem der Kontrolle und des Kontrollverlusts einzusteigen. *****/ Meine lieben Damen und Herren, liebe Veranstalter. Ich bedanke mich herzlich für die Einladung und für die Ehre, diese Konferenz eröffnen zu dürfen. „Neuste Medien unter Kontrolle?“ ist das Thema dieser Tagung. Und natürlich ist das zweite, was einem unter diesen beiden Termen einfällt: Deleuze – gleich nach dem Jugendschutzmedienstaatsvertrag. In seinem „Postscriptum zur Kontrollgesellschaft“ malt Deleuze schon 1990 aus, wie sich unsere Gesellschaft von der Disziplinargesellschaft hin zur Kontrollgesellschaft entwickelt. Zentrales Instrument und Katalysator – man ist versucht zu sagen: Medium – dieser Umwandlung ist der Computer. Kontrollgesellschaft – verkürzt: die Verwechslung des Gefängnisses mit der elektronischen Fußfessel – wäre somit eine Gesellschaft mit beschränktem Zugang. Automatische Schranken überall. Jeder Schritt wird kontrolliert, jede Handlung reglementiert.

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