Leseprobe 2: Das Regulierungparadox

Gestern wurde vom Bundestag die Umsetzung unter anderem der sogenannten Uploadfilter beschlossen. Damit kommt eine sehr umstrittene EU-Gesetzgebung konkret in Deutschland an, deren Spitzen immerhin im deutschen Gesetzgebungsprozess etwas abgemildert werden konnten. (Danke, u.a. Julia Reda!) Da ich über das Thema auch in meinem neuen Buch geschrieben habe, veröffentliche ich zu diesem Anlass den passenden Auszug. Anhand der Uploadfilter und anderer Regulierungsvorhaben erkläre ich das Regulierungsparadox. Die Stelle findet sich im Kapitel 6 – Plattformpolitik, Unterkapitel Netzaußenpolitik, S. 229 – 237.

Das Regulierungsparadox

Am 13. Februar 2019 einigte sich die EU auf eine neue Urheberrechtsrichtlinie. Gegen diese Richtlinie hatte es im Jahr zuvor viel Protest gegeben. Junge Leute, vor allem in Deutschland, gingen zu Tausenden auf die Straßen. Gegenstand der Kritik war vor allem Artikel 13 – in der endgültigen Fassung Artikel 17 – der EU-Urheberrechtsrichtlinie, in dem es um die sogenannten »Uploadfilter« geht.

Die Regelung verlangt von Internetdiensten, insbesondere von Plattformen für nutzergenerierte Inhalte, alle Inhalte vor der Veröffentlichung auf mögliche Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Um dem Gesetz zu entsprechen, müssen Plattformen also technische Infrastrukturen bereithalten, die ankommende Daten mit den Einträgen einer vorher eingerichteten Datenbank von urheberrechtlich geschützten Werken abgleichen, bevor sie sie zur Veröffentlichung freigeben. Ein solches Verfahren ist komplex, teuer und fehleranfällig. Es beschränkt zudem die Äußerungsmöglichkeiten der Nutzerinnen im Zweifel extrem. Den Upload eines privaten Videos kann schon ein Song verhindern, der im Hintergrund im Radio läuft. Ein zitierter Ausschnitt aus einer Berichterstattung kann durch die Rechteinhaber automatisch zensiert werden. Die gesamte, über Jahre gewachsene kulturelle Praxis der Kommunikation über Memes, wie sie unter jüngeren Internetnutzerinnen zur Alltagskultur gehört, scheint in Gefahr. 1

Für die Politikerinnen, die die Urheberrechtsnovelle vorangetrieben haben, standen aber gar nicht die potentiell drakonischen Einschnitte in die Handlungsfreiheit der Nutzerinnen im Zentrum der Diskussion, vielmehr verwiesen sie – oft mit martialischer Rhetorik – auf die Macht der Plattformen, deren Gebaren Einhalt zu gebieten sei.2

Für die institutionelle Politik, die den Aufstieg der Plattformen in den letzten Jahren durchaus argwöhnisch beobachtet hat, mag sich die Auferlegung harter Regulierungsmaßnahmen wie ein potenter Akt anfühlen. Doch für die Plattformen sind Regulierungen – sei es das oben erwähnte Recht auf Vergessenwerden, die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), das sogenannte »Netz- werkdurchsetzungsgesetz« (NetzDG), die Uploadfilter oder eben auch die chinesischen Ansprüche an Suchergebniszensur – erst einmal nur technische Herausforderungen. Sie werden in Code gegossen und in die ohnehin schon regulierenden Systeme eingebaut. Schlimmstenfalls muss man ein paar zusätzliche Moderator*innen anstellen und am Ende werden alle oktroyierten Regulierungen nichts weiter als eine Modifikation der Zugangs-, Query- und/oder Verbindungsregimes gewesen sein.

Plattformen sind – wie unter dem Abschnitt zur Netzinnenpolitik hoffentlich deutlich geworden ist – selbst mächtige Regulierer. Und sie sind, trotz aller berechtigter Kritik, sehr effizient darin. Sie zu regulieren, führt lediglich dazu, dass sie ihre eigene Regulierungsebene anpassen. Die Uploadfilter zum Beispiel sind, einmal implementiert, nichts anderes als zusätzliche Selektionskaskaden auf ankommende Datenströme.3 Teuer in der Entwicklung, nahezu kostenlos im Betrieb.

Doch das politisch Wesentliche passiert nach der Implementierung: Jede dieser Anpassungen verändert das Machtverhältnis zwischen Plattform und Staat zugunsten der Plattform. Emersons Balanceakt 3 bezeichnet die Strategie, sich als Akteur in der wechselseitigen Beziehung aufzuwerten und so die Abhängigkeit des Gegenübers zu erhöhen. Auf Plattformenregulierung angewendet: Jede von einer Plattform implementierte Regel erhöht die Abhängigkeit der nationalen Politiken von der jeweiligen Plattform. Die Macht der Plattformen wächst in dem Maße, wie die ihr zugewiesene Regulierungskompetenz steigt.4

Politikerinnen, die glauben, die Macht der Plattformen durch Regulierung einzuschränken, tun in Wirklichkeit meist das genaue Gegenteil. Das nenne ich das »Regulierungsparadox«.5 Reguliert man einen Regulierer, schränkt man seine Macht nicht ein, sondern weitet sie oft aus. Viele Politikerinnen, insbesondere auf der Ebene der Europäischen Union, haben diesen Mechanismus noch nicht wirklich begriffen.

Das Regulierungsparadox gilt für beinahe alle Formen der Plattformregulierung. Die DSGVO wurde vor ihrem Inkrafttreten ebenfalls als harter Schlag gegen Google und Facebook verstanden. Heute wissen wir, dass sie zu einer großen Marktbereinigung führte, die Googles und Facebooks Vormachtstellung auf dem Online-Werbe-markt weiter gefestigt hat. Allein 2018, dem Jahr des Inkrafttretens, stieg Facebooks Werbeumsatz in Europa um 40 und Googles um 20 Prozent, während der restliche Online-Werbemarkt lediglich um 14 Prozent wuchs.6 Insgesamt wuchs Googles Anteil am Online Werbemarkt um 5,4 Prozent und der Anteil am Webanalyse-Markt sogar um 7,2 Prozent in den ersten sechs Monaten seit Inkrafttreten.7 Gleichzeitig garantieren vor allem die großen Plattformen jene Errungenschaften der DSGVO, die die Politikerinnen ihren Wählerinnen versprochen haben, während viele kleine, oft nicht kommerzielle Projekte sich nicht in der Lage sahen, den hohen Anforderungen gerecht zu werden, und ihre Websites schlossen.8 Haben Publizistinnen mit unabhängiger und selbst betriebener Infrastruktur den vollen Aufwand und das volle Risiko, wenn sie ihre Angebote an die neuen Regelungen anpassen, brauchen Nutzerinnen der großen Plattformanbieter meist nur einen Knopf zu betätigen, und die Plattform erledigt den Rest. Es ist schließlich genau dieses Abfangen von Reibung und Komplexität, das die Plattformen so erfolgreich gemacht hat.

Im Falle der Uploadfilter wird sich Ähnliches einstellen. Nicht nur werden die Uploadfilter als Erstes von den großen Plattformen entwickelt und implementiert werden, kleinere Projekte werden die Software auch von ihnen lizenzieren müssen. Und was den freien und kreativen Umgang mit Memes und Remixes betrifft, wird es Dienste geben, die wie heute schon GIPHY9 Lizenzverträge mit Tausenden von Rechteinhaberinnen haben und den Nutzerinnen ein rechtssicheres Angebot machen, bei dem sie aus einer kuratierten Datenbank vorgefertigte Inhalteschnipsel für etwas nutzen können, was ein bisschen so ähnlich aussieht wie die Kreativität, die das Internet einmal hervorgebracht hat.

Derweil freut man sich in Europa, mit der DSGVO einen internationalen Standard gesetzt zu haben, und verweist stolz darauf, dass Google und Facebook im eigenen Land, den USA, sogar dafür werben, vergleichbare Regulierungen einzuführen.10 Doch natürlich ist die Internationalisierung dieses Standards gerade für die Plattformen enorm sinnvoll. Schließlich haben sie bereits darin investiert, die komplizierten Regeln in die eigenen Regimes zu übersetzen. Es ist ökonomisch also nur folgerichtig, dies als Wettbewerbsvorteil auf möglichst vielen Märkten auszuspielen.
Positiv ausgedrückt kann man Europas Politik gegenüber den Plattformen als »Politik der Pfadentscheidung« verstehen.11 Durch den Hebel der Regulierung, die durch die Plattformen implementiert und weltweit ausgerollt wird, strukturiert Europa den Entscheidungsraum aller anderen Staaten vor und wirkt weit über die eigene Jurisdiktion hinaus.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Regulierung durchaus ihre explizit formulierte Intention verwirklicht, gerade dann, wenn sie von großen Plattformen implementiert wird. Wenn die Hintergrundintention allerdings ist, die Macht der Plattformen einzuschränken, wird man damit das Gegenteil erreichen.

Fußnoten

  1. Ein Meme ist ein vom Wort »Gen« abgeleiteter Begriff, der netzkulturelle Artefakte beschreibt, die sich über Selektion, Variation und Kopie viral über das Internet verbreiten.
  2. Etwa Axel Voss im Interview mit Zeit Online: Lisa Hegemann: »Was YouTube macht, ist eine Art Enteignung», https://www.zeit.de/digital/internet/2019-03/ axel-voss-artikel-13-uploadfilter-urheberrechtsreform/komplettansicht, 25. 03. 2019.
  3. Die Ironie der Geschichte will, dass ausgerechnet Google das Konzept des Uploadfilters und somit das Vorbild für die Gesetzesvorlage in die Welt setzte. Content-ID ist ein System zur automatischen Erkennung urheberrechtlichen Materials, das bereits seit 2007 auf YouTube aktiv ist. Vgl. Leonhard Dobusch: Mario Barth vs. »Die Anstalt« – ein anschauliches Beispiel für Probleme mit Uploadfiltern, https://netzpolitik.org/2019/mario-barth-vs- die-anstalt-ein-anschauliches-beispiel-fuer-probleme-mit-uploadfiltern/, 17. 03. 2019.
  4. Internetaktivist*innen haben auf diesen Umstand immer wieder hingewiesen, vgl. z. B. Joe McNamee: Ist Artikel 13 wirklich das Ende des freien Internets, https://netzpolitik.org/2019/ist-artikel-13-wirklich-das-ende-des-freien-internets/, 19. 03. 2019.
  5. Michael Seemann: Das Neue Spiel, S. 146.
  6. Nick Kostov, Sam Schechner: GDPR Has Been a Boon for Google and Face- book, https://www.wsj.com/articles/gdpr-has-been-a-boon-for-google-and- facebook-11560789219?mod=rsswn, 17. 06. 2019.
  7. Vgl. Christian Peukert, Stefan Bechtold, Michail Batikas, Tobias Kretschmer: Regulatory export and spillovers: How GDPR affects global markets for data, https://voxeu.org/article/how-gdpr-affects-global-markets-data, 30. 09. 2020.
  8. Nach Inkrafttreten der DSGVO schlossen Hunderte Blogs, Foren und andere Projekte. Vgl. Enno Park: Statt Links der Woche: Tote Links der Woche, http://www.ennopark.de/2018/05/27/statt-links-der-woche-tote-links-der- woche/, 27. 05. 2018.
  9. Vicotoria Green: A Very Brief And Incredibly Animated History of GIPHY – And What It All Means For Brands, https://marketwake.com/a-very-brief-and-incredibly-animated-history-of-giphy-and-what-it-all-means-for-brands/, 14. 06. 2019.
  10. Henry Farrell: Facebook is finally learning to love privacy laws, https://www. ft.com/content/67b25894-5621-11e9-8b71-f5b0066105fe, 04. 04. 2019.
  11. Tatsächlich gibt es bereits einen Namen für den Effekt, dass vergleichsweise strenge Regulierungen sich als Pfadentscheidung über die eigene Jurisdiktion auswirken: California-Effect. Vgl. Sebastiaan Princen: The California Effect in the EC’s External Relations, http://aei.pitt.edu/2367/1/003780.1.pdf, 05. 06. 1999.
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