Vorschlag: Open Source als Plattformpolitik

Sei doch nicht immer so negativ!“ wird mir manchmal vorgeworfen. „Immer bist du gegen alle möglichen politischen Maßnahmen, immer haben alle unrecht, aber was wäre denn nun die richtige Politik?

Ich gebe zu, dass ich mich gerade bei (netz-)politischen Themen in einer gewissen Meckerposition eingerichtet habe – zumindest überwiegt sie unschön.

Oft habe ich zum Beispiel festgestellt, dass Plattformen eine enorme Macht haben, aber sobald die Politik Maßnahmen vorschlägt, Plattformen zu regulieren, finde ich das auch wieder doof. Ja, was denn nun?

Ja, ich habe in verschiedenen Texten (und auch schon in meinem Buch) gezeigt, dass staatliche Plattformregulierung sehr häufig gegenteilige Effekte als die Angestrebten produziert. Genauer: sie zwingen Plattformen politische Macht und Legitimation auf, die diese gar nicht haben wollen und machen Staaten im Gegenzug abhängig von der Regulierungsmacht der Plattformen.

Aber als ich vorletztes Jahr als Sachverständiger im Bundestag war (schriftliche Stellungnahme als PDF, Video der Anhörung) habe ich auch einen konkreten Vorschlag gemacht, wie die Macht der Plattformen durch Staaten effektiv einzuhegen wäre, der damals meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Deswegen will ich ihn hier etwas ausführlicher Ausbreiten:

Der Staat muss sich mit der Open Source Bewegung kurzschließen, um selber Plattformanbieter zu werden.

Nun gehöre ich nicht zu den typischen Open Source-Apologeten, die sich aus Überzeugung mit Linux rumschlagen und zur Not auf Geräte verzichten, weil es dafür keine Open Source-Treiber gibt. Im Gegenteil. Ich bin weitestgehend zufriedener Bewohner des Apple-Ökosystems und halte die meiste Open Source Software für eine Zumutung.

Auf der anderen Seite glaube ich aber auch, dass Open Source, offene Standards und dezentrale/distributed Service Ansätze das Einzige sind, was die Macht kommerzieller Plattformen – wenn nicht bedrohen, aber immerhin in Schach halten können. Oder könnten.

Leider tun sie das bislang nur sehr begrenzt. Das liegt zum einen daran, dass diese Ansätze allesamt noch zu schlecht, zu langsam in der Innovation, zu frickelig und so weiter sind. Das ist ein Problem, dass man mit Geld und Manpower gelöst bekommt. Das andere Problem ist ein Henne-Ei-Problem: die Systeme sind nicht attraktiv, weil sie zu wenig genutzt werden. Das leidige Thema Netzwerkeffekte.

Und hier die gute Nachricht: der Staat ist genau der richtige Akteur, beide Probleme zu lösen.

Kommen wir zum ersten Problem: Klar, wenn ein Unternehmen die Wahl hat, Geld in eine propietäre Technologie zu stecken, von der nur es selnst profitiert, wird es das lieber tun, als in Open Source zu investieren, wo im Zweifel auch die Konkurrenz noch von profitiert. Investition ist hier – zumindest zum Teil – ein Nullsummenspiel, was die vergelichsweise mickrige Finanzierung von Open Source erklärt.

Aber Staaten sind da anders. Sie könnten Geld in Open Source stecken und es kann ihnen egal sein, ob andere Staaten oder Unternehmen oder gar Privatpersonen davon profitieren. Je nach politischer Gesinnung könnte man das sogar als etwas positives sehen. (Ich zum Beispiel sehe das so)

Hinzu kommen die Standardargumente: Staaten könnten, wenn sie in Open Source investieren, eine größere Kontrolle über ihre Systeme bekommen. Sie könnten den Code für ihre Bedürfnisse anpassen, den Source Code auf Sicherheitslücken überprüfen und eigene Kompetenzen in Wartung und Weiterentwicklung aufbaue und so die direkte Abhängigkeit von Plattformanbietern (zum Beispiel Microsoft) reduzieren.

Aber so richtig spannend wird es, wenn man mit dem Staat das zweite Problem adressiert, das offene Ansätze haben: fehlende Netzwerkeffekte. Denn was oft vergessen wird, ist, dass der Staat eben auch ein riesiger Konsument von Software ist und sein Benutzen oder Nichtbenutzen von Systemen ein enormes Gewicht in die Waagschale wirft.

Konkret: Je mehr Behörden Linux und LibreOffice und co. installieren, desto mehr Kompatibilitäten werden über die Ämter und Behörden hinweg hergestellt. Ab zwei Städten mit kompatiblen Systemen würde es sich lohnen eigene Softwarelösungen zu entwicken. Partnerprojekte würden aus dem Boden schießen, denn sie könnten sich die Entwicklungskosten teilen und voll profitieren. Nach und nach würden aber immer mehr auf den Zug aufspringen, weil die Plattform durch neue Software immer attraktiver würde. Wir haben es mit dem Ins-Werk-Setzen von positiven Feedbackloops zu tun, die sich immer weiter verstärken und beschleunigen.

Und jetzt stellen wir uns vor, der ganze deutsche Staat, bis runter zur die letzten Landes- und Regionalbehörde würde auf Open Source setzen, zig Millionen von Installationen, dann hätte das einen globalen Impact auf die Open Source Welt als solche und darüber hinaus. Unternehmen würden vermehrt auf Open Source umsatteln, weil man nur so an lukrative Staatsaufträge kommt. Millionen Angestellte in den Behörden würden vielleicht auch privat anfangen Open Source-Syteme zu nutzen, einfach weil sie sich damit gut auskennen. Immer mehr Leute würden partizipieren, Bugs fixen, Software weiterentwickeln, forken, etc. Die Software würde immer vielfältiger, benutzbarer und sicherer.

Auf einmal würde es wirtschaftlich Sinn machen eine Bundes-Distribution für Linux herauszugeben, mit speziell entwickelter Behördensoftware, standardisiert und garantiert kompatibel über das gesamte Bundesgebiet. Es wäre wirtschaftlich eigene Spezialist/innen in großen Mengen auszubilden, Systemadins, Entwickler/innen, Secrurityexpert/innen. Projekte würden sich auf Projekte setzen, es würden eigene Infrastrukturen geschaffen, eigene Clouds, eigene Hardware, eigene Services, etc. Es würde ein lebendiges Ökosystem entstehen, dass Möglichkeiten an Möglichkeiten knüpfen würde.

Aber warum in Deutschland halt machen? Wenn einmal diese Softwarepakete in der Welt sind, würden schnell auch europäische Partner auf die Idee kommen, die Software einzusetzen. Sie müssten gar nicht mal die initialen Kosten investieren, weswegen die Schwelle für ihren Einstieg noch geringer ist. Die Netzwerkeffekte würden international abheben und Deutschland würde im Umkehrschluss davon profitieren. Je mehr Länder mitmachen, desto besser und vielfältiger wird die Software, desto größer wird der Pool an Experten, desto mächtiger wird das Ökosystem.

Man könnte per EU auch eine koordinierte Anstrengung machen, die gesamte EU auf die neue Open Source Strategie zu migrieren. Man stelle sich vor, wie die Netzwerkeffekte dann reinkicken würden. Spätestens dann wären Projekte möglich, mit denen man Facebook, Google und Amazon tatsächlich gefährlich werden könnte.

Linux und Co. wären sehr bald nicht mehr die Nerdsoftware, die wir heute kennen, sondern der gut benutzbare, besonders sichere Gold-Standard, mit dem jedes Kind umgehen kann.

Fazit

Staaten und Open Source sind sowas wie natürliche Partner, denn für Staaten ist Investition in Software kein Nullsummenspiel und er kann deswegen die Netzwerkeffekte freier Software sehr viel sorgloser einstreichen, als Unternehmen das können. Das Open Source Prinzip stellt auf der anderen Seite sicher, dass Staaten hier keine Tricks und Kniffe für heimliche Überwachung oder Zensurmaßnahmen in die Systeme schmuggeln. Am Ende gewinnt der Staat allgemeine Interoperabilität, bessere Software, die Macht der Netzwerkeffekte und sowas wie „Cyber-Souveränität“, weil er eigene Ressourcen zur Verteidigung seiner Infrastruktur aufbauen kann.

Die großen, kommerziellen Plattformen wird das nicht zerstören, aber es wird ihnen ein Gegengewicht entgegengestellt und die allgemeine Abhängigkeit der Staaten von ihnen wird enorm reduziert.

Zu guter Letzt gewinnen Staaten nun neue Möglichkeiten steuernd in die Plattformwelt einzugreifen: indem sie Standards durch ihre eigenen Netzwerkeffekte pushen oder verhindern.

Der Staat würde also ein relevanter Akteur im Spiel der Plattformen, indem er selbst Plattformbetreiber wird. Er könnte zwar nicht die Spielregeln bestimmen, aber sie relevant mitgestalten. Das ist weit mehr, als zu was er derzeit im Stande ist.

Ich bin überzeugt: die Zukunft der Staaten liegt im Open Source.

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13 Kommentare zu Vorschlag: Open Source als Plattformpolitik

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