Nicholas Carr hat ein Buch darüber geschrieben, wie das Internet unser Gehirn verändert. Ein Thema, das in dieser Zeitung häufig diskutiert wurde, zu dem ich bisher geschwiegen habe. Ich will kurz erklären, warum ich mich auch auch weiterhin nicht an diesen Diskursen beteiligen werde.
Die These, dass das Internet das Gehirn verändert, finde ich banal. Sie ist so intellektuell tiefschürfend wie die Feststellung, dass die Veränderung eines Flussbettes auch Auswirkungen auf den Fluss hat. Sogar das „wie“ dieser Veränderung finde ich – zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand – nicht besonders relevant. Jedenfalls nicht relevant genug, um daraus ernsthafte Thesen ableiten zu können.
Nicht nur, dass man schon sehr lange Journalist sein muss, um sich noch von einem „Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass…“ hinter dem Ofen hervorlocken zu lassen. Auch eine solche Herangehensweise an die Gehirnveränderungen finde ich von vornherein müßig. Klar wird sich das Gehirn verändern, denn es passt sich, als das anpassungsfähigste aller Organe, neuen Herausforderungen an. Aber im Gegensatz zu dem, wohin es sich verändert, orientieren sich die Skalen und Erwartungshaltungen psychomedizinischer Tests an den Kriterien der Vergangenheit. Woran denn auch sonst?
„Intelligenz“ – und alle sich daran knüpfenden Begriffe über die Fähigkeiten des Geistes – sind Begriffe, die vor allem sozial konstruiert sind und orientieren sich bestenfalls daran, was bisher von einem gut funktionierenden Gehirn erwartet wurde. Dass beispielsweise ausdauernde Konzentrationsphasen nützlich waren, um lange Bücher zu lesen und dass ein Gutes Namens und Datengedächtnis nützlich war, um in seinem Alltag möglichst viel Wissen zeitnah zur Verfügung zu haben, ohne einen ständigen Zugang zum Internet haben zu müssen, leuchtet ein. Dass diese Dinge in Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen werden, ist aber nicht ganz unwahrscheinlich.
Natürlich gab es damals noch keine psychomedizinischen Studien dazu, aber es ist für mich unvorstellbar, dass beispielsweise die Erfindung der Schrift, sowie die allgemeine Alphabetisierung der Menschen nach der Erfindung des Buchdrucks, nicht eine ebenso krasse Veränderung des Gehirns nach sich gezogen haben. Sobald neue Medien das Licht der Welt erblicken und sich Gesellschaft auf ihnen beginnt abzuspielen, werden neue Herausforderungen an das Gehirn definiert. Schrift fordert eine viel höhere Vernetzung des Sprachapparates mit dem Sehapparat, als sie vorher gebraucht wurde. Dafür musste das Gedächtnis nicht mehr ellenlange Texte und Namenslisten fehlerfrei wieder geben können, wie vor der Erfindung der Schrift. Jan Assmann hat in „Das kulturelle Gedächtnis“ diese strengen Rituale und Zeremonien mit ihren für uns übermenschlich anmutenden Ansprüchen an das Gedächtnis des Einzelnen schön beschrieben. Das Gehirn musste und konnte diese Kapazitäten mit der Erfindung der Schrift umschichten. Sorgen um die menschliche Spezies muss man sich also genau dann machen, wenn Medien keine tiefgreifenden Veränderungen in den Hirnstrukturen mit sich brächten.
Ich befinde mich nicht in der Lage, beurteilen zu können, was für ein Gehirn, mit welchen Fähigkeiten wir in Zukunft brauchen werden. Werden wir überhaupt noch Informationen darin speichern müssen? Wird „Konzentration“ irgendwann als unsoziale Art des Denkens verdammt oder wird es zumindest seiner Ineffektivität wegen gemieden? Ganz ehrlich: ich weiß es einfach nicht. Niemand weiß das. Was aber als gesichert gelten kann, ist, dass sich das Gehirn genau so verändern wird, wie es die neuen Ansprüche an das Denken in digitalen Zeiten erfordern. Denn das ist der Grund von Veränderung – und zwar immer: neuen Ansprüchen besser genügen zu können.
Es ist natürlich gut und wichtig zu beobachten, wie sich das Gehirn im Laufe der neuen Mediennutzung verändert. Ich möchte dem Ansinnen einer aufgeklärten Selbstbeobachtung des Menschen nicht entgegen stehen. Aber ganz und gar vermessen ist es zu glauben, diese Dinge bewerten zu können. Dass Carr sich hinstellt und mit seiner Zwanzigstenjahrhundertintellektualität glaubt, ein qualifiziertes Urteil über diese Entwicklungen fällen zu können, lässt Weitblick und vor allem intellektuelle Demut vermissen. Die Entwicklung des Gehirns ist im Kern ein evolutionärer Prozess. Eine Kontrolle über diese Vorgänge haben wir Menschen nie gehabt, eine Gehirnentwicklungsplanwirtschaft wäre nicht – nicht mal unter Carrs stringenter Federführung – erstrebenswert.
(Original erschienen auf der Website von FAZ.net)