Seit zwei Wochen bin ich in New York. Es fühlt sich wie eine Behinderung an. Vorhin stehe ich an einer Kreuzung und weiß nicht, in welche Richtung ich gehen muss, um zur Houston Street zu kommen.
Was sich wie ein normales Nicht-Auskennen anhört, ist für mich mehr als das. Es ist der Verlust einer Orientierung, die zwar nie mein Eigen war, auf eine eigentümliche Art aber irgendwie doch. Nein, ich kenne mich nicht in New York aus, aber mein Handy würde sich für mich auskennen. Es würde mich von jedem Ort an jeden anderen leiten, es würde mir Bände an Informationen über jede Straßenecke in sekundenschnelle aufbereiten, es würde mir die Kinokarten reservieren und ich könnte meine Eindrücke mit tausenden von Menschen in Echtzeit teilen und sie würden mir Tipps geben, wo ich was anschauen sollte und wo ich günstigen Kaffee finde. New York wäre der vertrauteste Platz der Welt und ich würde mich fühlen, wie ein Fisch im Wasser, wenn ich nur mobiles Internet hätte.
Zu meiner Lage: Ich habe ein iPhone der Telekom. Apple hat mit Providern in vielen Ländern Exklusivverträge abgeschlossen, darunter eben auch mit der Deutschen Telekom. Um das Monopol der Provider zu schützen, haben die iPhones einen so genannten SIM-Lock, der verhindert, dass man andere SIM-Karten in dem Telefon benutzen kann, als die des Exklusivproviders. Lange währte der Kampf der Hacker gegen diesen Lock. Bei den ersten iPhone-OS-Versionen konnte er noch erfolgreich ausgehebelt werden, aber seit ein paar Versionen sind wir alle wieder Gefangene. Und die Deutsche Telekom ist ein sehr grausamer Gefängniswärter, insbesondere, wenn man – wie ich – die Unverschämtheit besitzt, sich in den USA aufzuhalten. Obwohl die Telekom in New York als Mobilfunkprovider selber eine etablierte Marke ist, stellt sie ihren Kunden aus Deutschland ca. 10 Euro pro Megabyte an Roamingebühren in Rechnung. 10 Euro also, um etwa einmal Faz.net aufzurufen.
Und nun bin ich hier, in New York, und fühle mich behindert, denn mein Mentales Exoskelett, an das ich mich so gewöhnt hatte, steht mir nicht mehr zur Verfügung. Ich bin zurückgeworfen, auf eine Zeit von vor 4 Jahren. Ich muss wieder im Vorhinein meine Trips organisieren. Ich muss wieder auf die Karte schauen, bevor ich irgendwo hingehen kann und wenn ich die Adresse vergessen habe, kann ich nicht schnell nochmal auf der Webseite nachschauen. Wann der nächste Zug kommt, erfahre ich an der Station und wo die ist, naja, die muss ich eben suchen. Und wenn mir einfällt, dass ich ja noch zu dem Laden hin wollte, den mir ein Freund vorhin per Chat empfohlen hat, kann ich weder im Chatprotokoll nachschauen wie der hieß, noch kann meinen Freund schnell noch mal fragen.
Vor allem aber stört mich die soziale Leere der stofflichen Welt. Natürlich ist es schön, mit Freunden im Pub zu sitzen und dem Fußballspiel zuzuschauen, aber ohne Twitter fehlt mittlerweile etwas ganz wesentliches. Die Kommentare, die ich im Pub mache, finden nur beiläufigen Widerhall. Hier schaukelt sich nichts auf, hier entsteht keine Resonanz. Naja, schon: Jubel und Gesänge unter den Kneipengästen. Aber für meinen Geschmack ist diese Form der Interaktion viel zu unterkomplex. Ich vermisse meinen Stream der gehässigen Kommentare, schlauen Beobachtungen und spontanen Analysen und das Sich-Aufschaukeln der Meme. Ich vermisse meine Timeline im Alltag wie einen Teil von mir.
Und ich vermisse das Senden. Ich vermisse das Mich-Einbetten in den Metakontext des von mir gestalteten Netzes. Der immerwährende Anschluss an den Strom meiner Distributed Reality. Der soziale Echoraum, den ich mir erschlossen habe, verortet alles, was ich tue in neue Kontexte, indem es mir Verknüpfungen aufzeigt, die in der realen Welt unsichtbar bleiben. Nicht nur die Tipps, die sich ergeben, wenn man sagt, dass man sich gerade auf der 5th Avenue befindet. „Ich sitze gerade im XY-Café“ – „Dann grüß mal X, der dort den Laden schmeißt.„. Meine Follower waren schon überall auf der Welt und haben schon jede Erfahrung gemacht. Werfe ich ihnen einen potentiellen Knotenpunkt hin, bewerfen sie mich mit den möglichen Anschlüssen.
Man muss sich die Welt voller loser Kabelenden vorstellen. Mit den wenigsten kann man sich spontan verbinden. Ist man aber aber per Device an das Internet angeschlossen, finden beinahe all die losen Kabelstränge Anschlußstellen auf der anderen Seite. Und weil man die Anschlußaggregate selber zusammengestellt hat, werden tendenziell nur die Kabelenden verbunden, die wirklich relevant für mich sind. Doch die Kabel bleiben in New York unverbunden und unsichtbar. Ich erahne sie an jeder Ecke – als eine Art Phantomschmerz. Ich kann nicht nachvollziehen, dass andere diesen Zustand als Entspannend beschreiben.
Am 24. Juni kommt das neue iPhone. Ich werde versuchen, eines zu bekommen, das vom Werk her geunlockt ist. Koste es, was es wolle. Und das wird vermutlich viel sein.
PS: New York ist natürlich auch offline toll!
(Original erschienen auf der Website von FAZ.net)