Das Ende der Konsumentenrente oder Wert und Preis Teil III

Big Data verändert den Kapitalismus gerade grundlegend und zwar auf eine Weise, von der noch viel zu wenig gesprochen wird. Big Data macht sich auf, die Konsumentenrente zu bedrohen und das wird die gesamte Ökonomie völlig umkrempeln und zwar zu unser aller Nachteil, wenn wir nicht aufpassen. Aber bevor wir dazu kommen, erstmal eine kleine Rückblende.

Was bisher geschah

Dies ist gewissermaßen ein weiterer, ungeplanter Anschlusspost an meine Marxkritik1. Deswegen sei die noch mal zusammengefasst: Ich kritisiere die Arbeitswerttheorie von Marx, die besagt, dass der Wert einer Ware 1. sich aus der abstrakt geleisteten Arbeit, die zu ihrer Herstellung notwendig ist, herleitet und dass sich 2. dieser Wert in dem Preis der Ware ausdrückt. Wir haben hier also beides: eine Werttheorie und eine Preistheorie. Beide finde ich nicht überzeugend und ich habe dargelegt, warum.

Ich diskutiere in dem Zusammenhang auch die konkurrierende, „bürgerliche“ Preis/Wert-Theorie namens Grenznutzentheorie, die besagt, dass der Wert nicht von der Anbieterseite, sondern von der Nachfrageseite bestimmt wird. Zumindest als Preistheorie finde ich sie ebenfalls nicht überzeugend.

Mein Fazit: Was den Wert anbelangt, lehne ich das Konzept generell ab, da es keinerlei Entsprechung in der realen Welt und keine Aussagekraft über irgendwas hat. Was den Preis angeht, habe ich im Zuge eines Gedankens über den Plattformkapitalismus eine eigene Preistheorie aufgeschrieben2, bei der ich allerdings etwas geschummelt habe, denn sie ist gar keine ökonomische, sondern eine Machttheorie und somit kaum geeignet, ökonomische Aussagen zu treffen. Eine funktionierende ökonomische Preistheorie – so führe ich in einer Fußnote aus – hielt ich damals für nicht leistbar.

Aber vielleicht gibt es ja einen Wert und vielleicht bestimmt er ja, was wir bereit sind, für eine Ware zu bezahlen, aber so lange das nur ein individuelles Konstrukt hinter den Schädeldecken der Menschen ist, bleibt das Hantieren damit ein ans metaphysische grenzender Hokuspokus.

Der Blick in die Köpfe per Big Data

Und hier wäre der Blogpost am Ende, wäre nicht die Entwicklung virulent, dass man heute ja doch in die Köpfe der Leute gucken kann. Genau das haben Forscher nun getan, anhand der vielen Daten, die Uber gesammelt hat. Uber nämlich berechnet seine Preise anhand eines internen, algorithmischen Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage. Ruft man ein Uber zu einer Zeit, in der viele Leute ein Uber bestellen, aber nur wenige unterwegs sind, ist der Preis höher, als wenn man ein Uber bestellt, wenn wenig Nachfrage und ein hohes Angebot herrscht. Dieses so genannte „Surge Pricing“ dient Uber zur Auslastungsoptimierung. Zumindest als zentralisierter Algorithmus scheint der Markt also ganz prima zu funktionieren.

Dieser Algorithmus hat nun aber zur Folge, dass es keine Fixpreise für die Ware „Von Ort X zu Ort Y befördert werden“ gibt. Und das macht die Daten wahnsinnig interessant für Ökonomen. Steven Levitt hat sich zusammen mit einem Team von anderen Ökonomen an die Uberdaten gemacht und darin Vergleichsgruppen ermittelt, also Leute, die gewisse homogene Eigenschaften aufweisen, und geschaut, wie sie auf die unterschiedlichen angezeigten Preise für vergleichbare Strecken reagieren und welche Kriterien dabei eine Rolle spielen. Kaufen sie, oder kaufen sie nicht? Ab welchem Preis sind unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Situationen nicht mehr bereit zu zahlen? Wann überschreitet der Preis den Grenznutzen? In den Daten von Uber wurde der Wert in den Köpfen transparent.3

Levitt sagt, es sei das erste Mal, dass Ökonomen die so genannte Konsumentenrente nicht nur nachgewiesen, sondern genau beziffert hätten. Aber zunächst: Was ist die Konsumentenrente? Es ist genau die Differenz zwischen dem, was ich als Konsument bereit bin für ein Produkt zu bezahlen (Reservationspreis – also das, was die Grenznutzentheorie versucht zum Teil zu erklären) und dem, was ich tatsächlich bezahle. Unter anderem darauf bezieht sich die Konsumerwohlfahrt, also im Grunde der ganze Nutzen, den wir Kosmumentendackel dem Kapitalismus entlocken. Und selbst wenn wir immer denken, wir hätten ja nichts davon, haben die Ökonomen ausgerechnet, dass wir doch was davon haben: Allein beim Benutzen von Uber haben die amerikanischen Konsumenten im Jahr 2015 2,9 Milliarden Dollar eingestrichen. Also implizit, indem sie das Geld nicht gezahlt haben, obwohl sie würden.4

Ja, das ist wahnsinnig spannend und vielleicht bekommen die ja auch mal irgendwann den Nobelpreis (also das Pseudodings für Wirtschaft) dafür, aber mich interessiert etwas ganz anderes:

Denn mit der Konsumentenrente ist es ein bisschen so wie mit Captchas. Wenn sie berechenbar ist, dann ist sie bedroht. Anders: Wenn die Ökonomen berechnen können, wie viel jemand bereit ist, für eine Uberfahrt auszugeben, dann kann Uber es auch. Was hindert Uber also daran, einfach genau diesen Betrag als Preis darzureichen und die Konsumentenrente ganz für sich selbst einzustreichen? Was Levitt und seine Kollegen Uber gezeigt haben, ist, dass sie sich 2015 2,9 Milliarden Dollar durch die Lappen haben gehen lassen.

Wenn man das zu ende denkt, wäre der Schritt, mithilfe von Big Data der Konsumentenrente hinterherzusteigen ein wahnsinniger Paradigmenwechsel im Kapitalismus. In Zeiten von Big Data und Profilbildung von alles und jedem ist es ein realistisches Szenario, dass jeder immer genau den Betrag abgerechnet bekommt, den er oder sie bereit ist zu zahlen. Es gibt bereits viele Studien, die zeigen, dass Onlineshops mit Preisdiskriminierung arbeiten.5 Diese Algorithmen sind allerdings noch recht trivial. Da geht es darum, Leuten, die zum ersten Mal die Seite besuchen, Lockangebote zu machen, oder etwas mehr aufzuschlagen, wenn die Menschen mit Applehardware unterwegs sind. Aber wenn der Reservationspreis eines Jeden für jedes Produkt in jeder Situation berechenbar wird, dann sind ganz andere Preisspannen möglich.

Und diese Daten werden gesammelt. Eine Freundin buchte letztens einen Airberlinflug. Die Website machte sie darauf aufmerksam, dass der Platz neben ihr noch frei ist und fragte, ob sie ihn nicht aus Bequemlichkeitsgründen dazubuchen möchte. Dass der Kapitalismus es versteht, aus allem eine Ware zu machen – sogar aus leerbleibenden Sitzplätzen – ist ansich nichts Neues. Das wirklich Spannende ist, dass sie aufgefordert wurde, selbst eine Preisrange anzugeben, die sie dafür zu bezahlen bereit wäre. Mit Hilfe dieser Angabe kann die Preiselastizität der einzelnen Kund/innen ausgemessen werden, um dann speziell zugeschneiderte Preise anzeigt werden.
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Ich denke, wir werden solche Dinge viel öfter sehen. Preisvariationen werden in der ersten Phase wahrscheinlich gar keine echten Diskriminierungen sein, sondern randomisierte Tests. Wenn man vielleicht irgendwann den Schlüssel findet, über den man verschiedene Produktgruppen querreferenzieren kann, geht alles ganz schnell. Und nein, das muss nicht zu 100% funktionieren. Es ist absolut denkbar, dass ein Algorithmus, der 50% der Leute einen Preis vorschlägt, bei dem sie sich entrüstet abwenden, aber bei den anderen 50% die Konsumentenrente fast vollständig einstreicht, weitaus mehr Gewinn generiert als ein normaler Festpreis.

Was hilft dagegen?

Die üblichen Verdächtigen werden wieder ankommen und das Problem mit Datenschutz erschlagen wollen. Profilbildung verbieten! Gespeicherte Daten löschen! Dass das nicht hilft, habe ich an so vielen Stellen bereits ausgeführt, deswegen nur kurz: Was viele nicht verstehen, ist, dass es bei diesen Dingen nie um sie selber geht. Das Individuum und dessen Daten sind den Anbietern egal. Und selbst, wenn sie kaum Daten über dich haben, werden sie dich über das Wenige, was sie haben über Leute, die dir in gewissen Eigenschaften ähneln, querreferenzieren. Und das Schlimmste, was ihnen dabei passieren kann ist, dass sie deinen Reservationspreis falsch berechnen und dir einen Preis anzeigen, den du nicht bezahlen wirst. Und das ist im Zweifelsfall doofer für dich als für sie. Mit anderen Worten: Dass sie weniger Daten über Dich haben, wird nicht dazu führen, dass du fairer behandelt wirst – eher im Gegenteil.

Gut. Was dann?

Mehr Daten, mehr Algorithmen. Ja, so absurd es klingt. Um gegen die Preisdiskriminierung angehen zu können, muss man erstmal wissen, dass es sie überhaupt gibt und dass man davon gerade betroffen ist. Als Einzelner vor dem eigenen Bildschirm ist das eben nicht ersichtlich. Die unterschiedlichen Preise müssen also gesammelt und zentral verglichen werden. Denkbar ist ein Browserplugin, das die abgerufenen Preise automatisch an eine Datenbank sendet und mit den Einsendungen anderer Pluginnutzer/innen vergleicht. Das Plugin schlägt dann Alarm und warnt, wenn man im Begriff ist eine Transaktion zu vollziehen, die einem einen Gutteil der Konsumentenrente entzieht. Wie ich bereits anderswo formulierte: Es braucht mehr Algorithmen, die auf Seiten der Konsumenten agieren.6

Das ist aber natürlich erst der Anfang. Denn anschließend muss und wird es eine Debatte darüber geben, was überhaupt ein fairer Preis ist. Denn wie gesagt: Es ist nicht so, dass es vor Big Data nur faire Preise gab. Oder dass es überhaupt nur die Definition eines fairen Preises gab. Preise sind – innerhalb bestimmter Grenzen – arbiträr. In ganz bestimmten Idealbedingungen orientieren sich Preise zum Beispiel an Angebot und Nachfrage oder an den Grenzkosten oder, oder. Aber sollten sie das? Die Frage des Preises wird eine politische werden.

Vielleicht wäre das die Chance mal einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu erreichen, wie sich ein fairer Preis errechnet. Davon kann immer noch abgewichen werden, aus welchen Gründen auch immer. Aber ich glaube, Konsument/innen brauchen einen Referenzpunkt, an dem sie sich orientieren können. Und der wird im Mittelpunkt einer politischen Auseinandersetzung stehen müssen.

  1. Ich lehne Marx‘ Arbeitswerttheorie ab und hier ist warum. http://mspr0.de/?p=4605
  2. Die Gewalt der Plattform und der Preis des Postkapitalismus http://www.ctrl-verlust.net/die-gewalt-der-plattform-und-der-preis-des-postkapitalismus/
  3. Using Big Data Estimating Consumer Surplus: The Case of Uber https://drive.google.com/file/d/0B3y6Efb4V73TdG9pV1F0VGpsM1E/view
  4. Hier die sehr hörenswerte Freakonomicsfolge zu dem Projekt. http://freakonomics.com/podcast/uber-economists-dream/
  5. Schnelle Preisanpassung im Onlinehandel https://www.heise.de/newsticker/meldung/Studie-Schnelle-Preisanpassungen-im-Online-Handel-immer-wichtiger-3230054.html
  6. Wovon wir dringen mehr brauchen: alorithmisierter Verbraucherschutz: https://www.piqd.de/politik-und-netz/wovon-wir-dringend-mehr-brauchen-algorithmisierter-verbraucherschutz?r=channel
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4 Kommentare zu Das Ende der Konsumentenrente oder Wert und Preis Teil III

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