Die Impfgegner und die Krise der Institutionen

Vier Jahre ist das jetzt her, dass Gunter Dueck auf der re:publica 2011 seinen viel gefeierten Talk „Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem“ hielt. Höhepunkt seines Vortrags („So jetzt kommt das schwere Geschütz“) war die Frage:

„Glauben Sie nicht, dass wenn jemand eine Krankheit hat, dass er dann nach 2 Stunden surfen 10 mal mehr weiß, als sein Arzt?“

Ich aber saß in meinem Sitz und ich konnte mich der schlichten wie unaufdringlichen Logik dieser Frage nicht entziehen. Wir kennen das alle: 10 Ärzt/innen 12 Diagnosen. Jeder kennt Fälle, in dem eine Patient/in tatsächlich die Diagnose richtiger einschätzte als der/die Arzt/in. Und hier nun stand Gunter Dueck und gab eine einfache Erklärung. Das Internet enthält doch bereits alles Wissen. Wer genügend Motivation mitbringt, (und die fehlt Betroffenen selten), kann sich (zumindest in vielen Fällen) selbst besser diagnostizieren, als ein Allgemeinarzt, der im Zweifelsfall vor vielen Jahren mal irgendwo eine Vorlesung zum Thema wieder vergessen hat.

Ich sehe Duecks Argument heute nicht widerlegt, aber es wird immer offenbarer, dass es mehr braucht, als nur Internet und Motivation. Etwas, was Dueck und auch ich damals implizit vorausgesetzt gesetzt haben: das Vorhandensein von kritischem Denken, eine gewisse wissenschaftsmethodische Bildung. Damit meine ich die Fähigkeit, kritisch mit Quellen umzugehen und auch seinem eigenen Urteil zu mißtrauen (das ist – nebenbei – der Hauptunterschied zu den Verschwörungstheoretikern: ihr kritisches Denken zieht alles in Zweifel außer dem eigenen Urteil).

Was nämlich passiert, wenn unter sonst gleichen Bedingungen das kritische Denken fehlt, kann man derzeit in Berlin und schon länger in den USA beobachten. Impfgegner machen mit Verschwörungstheorien, Selbstdiagnosen und anekdotischer Evidenz gegen das Impfen mobil. Längst ausgestorben gedachte Krankheiten brechen wieder aus, in Berlin gibt es jetzt den ersten Masern-Todesfall.
(Nachtrag: Anne Roth macht mich per Facebook gerade darauf aufmerksam, dass es Impfgegner natürlich bereits viel länger gibt und wirft richtig ein, dass mir jegliche Evidenz fehlt, dass das Thema in letzter Zeit größer geworden ist. Das ist richtig. Dieser Text basiert auf meiner subjektiven Beobachtung und stellt implizit die These auf, dass Impfgegnerschaft durch das Netz zugenommen hat.)

Das Internet hat sich während meiner Beschäftigung damit wahnsinnig verändert. Die Hauptveränderung ist aber mit Sicherheit seine Skalierung. Waren wir von 2007 bis 2011 noch eine sehr kleine, spezielle Gruppe von Menschen, die das Internet publizistisch nutzten und auf den re:publicas als zukünftigen und utopischen Raum des Denkens feierten, hat sich das Internet inzwischen als Medium der Massen durchgesetzt. Die Durchdringung einzelner Seiten wie z.B. Facebook hat längst alle Zeitungen und Fernsehsender zusammengenommen überflügelt. Letzteren wird immer weniger Vertrauen geschenkt, man findet sich zusammen um gemeinsam am Mainstream zu zweifeln. Wir bekommen das nicht so mit, weil unsere Queryöffentlichkeiten uns von dem meisten abschirmen – und deren Queryöffentlichkeiten schirmen sie von uns ab. Ich habe das letztens bereits anhand von Pegida beschrieben:

„Doch die Resonanzräume ermöglichen sowohl Vernetzung als auch Abschottung. Hermetische Weltbilder, die Evidenz durch zirkuläres zitieren und den ausschließlich negativen Bezug auf die mediale Außenwelt bezieht: “Sie wollen uns als Verschwörungstheoretiker verunglimpfen, also muss es wahr sein!” Wissen ist nichts anderes als ein hinreichend dichtes Netz aus Informationen, schreibe ich in meinem Buch. Unter guten Vernetzungsvoraussetzung kann also alles zum Wissen werden – zur Wahrheit – zumindest aus einer bestimmten Query heraus gesehen.“

Der Vertrauensverlust gilt nicht nur gegenüber den Massenmedien und den „Politikern da oben“, sondern eben auch gegenüber den Ärzt/innen. Wie das, was Gunter Dueck damals beschrieb, heute in der Realität aussieht, kann man aktuell studieren, wenn man Stephan von Schockfaktor in die Facebookgruppen der Impfgegner folgt. Minutiös beschreibt er die Diskussionen, die er dort führte und mit welchen „Argumenten“ er konfrontiert wurde. (Ich werde im Folgenden ein wenig daraus zitieren.)

Politik, Medien, Gesundheitssystem. Alle haben sich verschworen gegen die kleinen Leute. Was wir erleben nenne ich in meinem Buch „die Krise der Institutionen“ und widme ihr ein Kapitel. Durch die Selbstorganisationsmächtigkeit der neuen Medien verlieren die zentralistisch und hierarchisch organisierten Institutionen an Macht:

„Institutionen verlieren an Macht, da sie besser kontrolliert werden können, Konkurrenz bekommen und an Vertrauen verlieren. Wir dagegen gewinnen an Macht. Wenn wir einander über die Query suchen und finden, brauchen wir keine externen Instanzen mehr, die Komplexität reduzieren und Transaktionskosten gering halten.“

Gehen wir die genannten drei angesprochenen Angriffsvektoren Kontrolliert werden, Konkurrenz bekommen und an Vertrauen verlieren mal anhand der Impfdebatte durch:

Durch die allgemeine Zugänglichkeit von Informationen, lassen sich Ärzt/innen besser kontrollieren. Man muss ihrer Diagnosen nicht mehr blind vertrauen. Mit ein wenig Googlerecherche und Wikipediagewühle lassen sich meistens Diagnosen und Ratschläge verifizieren – oder auch nicht. Vielleicht findet man überzeugende Argumente und Belege seinem Arzt/Ärztin das Vertrauen zu entziehen. Oder man findet Ci Ci, die sagt: „Weil Fakt ist: Impfungen sind Gesundheitsschädlich. Ich kenne in meinem Umfeld mind. 3 Kinder mit impfschaden!

Das heißt, implizit, dass die Ärzte Konkurrenz bekommen. Nicht im kommerziellen Sinne, sondern, dass ihr Urteil Konkurrenz bekommt. Mal von einer informierten Betroffenen, die die Wikipedia leergelesen, sich durch Bücher gewühlt und die neusten Paper zur Krankheit in Fachmagazinen gelesen hat, oder das andere Mal durch Marion K, die sagt:

„Mal zu den Büchern und Wikipedia. Egal was ihr lesen werdet. In den wenigsten Fällen IST es die Wahrheit. Wer liest, liest das was der Staat will das ihr es lest. Das nicht impfen lernt man nicht in einem Buch. Das sollte ein Urinstinkt sein. Und bei den meisten ist das auch so. Und überzeugen könnt ihr eh kein. Entweder man ist bereit den Weg zu gehen oder nicht.“

So oder so, der Arzt als Institution erleidet durch die Queryöffentlichkeit der Menschen einen Vertrauensverlust. Sei es, dass die informierte Betroffene mit Grund das Urteil ihrer Ärzt/in anzweifelt und lieber eine andere Spezialist/in aufsucht. Oder eben wie Corinna H., die statt anderer Spezialist/innen sich in der erwähnten Facebookgruppe rückversichert als ihr Arzt riet, ihr Kind gegen Tetanus zu impfen, als es sich beim Spielen mit vielen Splittern übersäht hatte. „Ich habe abgelehnt – aber dennoch hat er mich verunsichert.

Funktional betrachtet ist das alles dasselbe. „Mißtraut Autoritäten!“ ist eine richtige Forderung, die aber gefährlich ist, weil sie von Privilegienblindheit geschlagen ist. Sie funktioniert nur für Menschen die gar nicht wissen, dass sie mehr wissen als die meisten – und deswegen vielleicht tatsächlich keine Autoritäten brauchen. Andere verlieren durch den Machtverlust der Autoritäten die Orientierung und und suchen sich einfach Neue, die sehr viel fragwürdiger sind, als die offiziellen. Die blühenden Verschwörungstheorien, die Männerrechtler, die Impfgegner und Pegida und co sind (auch) Phänomene dieser Krise der Institutionen.

Versteht mich nicht falsch: Ich bin immer noch ein großer Fan des Internets und seiner immanenten Eigenschaft, Gatekeeper zu entmachten und die regulative Rolle der Institutionen abzubauen. Aber wir sollten uns klar darüber sein, dass manche Wände, die wir gerade einreißen, tragend waren. Wir müssen damit rechnen, dass durch den Machtverlust der Institutionen erst einmal eine Menge Unordnung freigesetzt wird und bestimmte Errungenschaften zurück in einen chaotischen Zustand entgleiten, der längst überwunden geglaubt war. Das gilt nicht nur für Uber und AirBnB, sondern auch für die Diskurse ansich. Das Internet ist für die einen das perfekte Tool der Aufklärung, für die anderen der perfekte Ort, sich ungestört in einem faktenbefreiten Diskurs über die eigenen Glaubenssätze zurückzuziehen. Und es gibt niemanden mehr, der sie dafür sanktionieren könnte.

Ich will das alles aber auch nicht allzu zu schwarz malen. Es werden sich jenseits der kriselnden Institutionen neue Kontrollmechanismen entwickeln (müssen). Mein derzeitiger best Guess sind derzeit die Plattformen. Sie entwickeln sich immer weiter in Richtung Nutzer- und Diskurskontrolle. Auch das kann man ebenso gefährlich finden, wie notwendig. Vielleicht wird es aber auch ganz andere Mechanismen geben. Die Frage ist nur – und die stellt sich angesichts solcher Phänomene wie der Impfgegner immer drängender – wird das Kontrolldefizit durch den Kontrollverlust zwischenzeitlich in einer allgemeinen Katastrophe ausarten, oder werden neue Kontrollmechanismen früh genug greifen und das Schlimmste verhindern?

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5 Kommentare zu Die Impfgegner und die Krise der Institutionen

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