Der Kontrollverlust auf dem 27c3

Postprivacyspacken“ war das Wort, das Constanze Kurz im CCC-Jahresrückblick gebrauchte. Und man wäre ja auf das Thema gerne noch näher eingegangen, hätte auch gern einen Talk dazu gehabt, aber naja. Aber falsch sei es auf jedenfall und Marc Zuckerberg und Eric Schmidt und überhaupt: Böse!

Ich hab das zunächst nur über meine Timeline mitbekommen und mir anschließend auf Video angeschaut, denn ich war gerade in einem anderen Talk. Einem wunderbaren Vortrag über den Kontrollverlust. Ich rate dem gesamten Podium dringend, sich diesen zu Gemüte zu führen.

Seda Gürses forscht bereits länger zum Thema Privacy und Privacy-Technologies und war gekommen um einen „kritischen Überblick“ zum Stand der Forschung vorzustellen. Und der hatte es in sich.

Sie differenziert dabei drei unterschiedliche Sichtweisen oder Ansprüche an Privacy: Privacy as Confidential, Privacy as Control und Privacy as Practice. Während Privacy as Confidential zunehmend unmöglich wird (sie erklärt all die Vorgänge sehr präzise und überzeugend, die ich als „Kontrollverlust“ bezeichne) und Privacy as Control eigentlich nicht wirklich wünschenswert ist, weil man sich immer in Abhängigkeit zentraler Identitätsprovider begibt und so deren Macht nährt, ist es nur noch Privacy as Practise, die bestand hat und haben sollte.

Gürses umschreibt Privacy as Practise ein wenig wolkig, als den allgemeinen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, wann und wo Privacy stattfindet und welche Grenzen gezogen werden. Was man – wenn man bösartig ist – als Pfeifen im Wald interpretieren kann, ist bei genauerer Betrachtung das radikale Recht des Anderen. Denn wo confidentiality und control abhanden kommen, ist man eben angewiesen auf den Goodwill seines Gegenübers. So wie die Niederländer trotz gardienenloser Panoramafenster nicht in die Wohnung des Nachbarn starren und wir uns umdrehen, wenn sich jemand umzieht, wird es auch in Zukunft Querys geben, die man einfach nicht absetzt. Privacy als etwas, das nicht abgegrenzt ist, das nicht kontrolliert wird, sondern etwas, das vom anderen gegeben wird. „to give someone some privacy“ sagt man im Englischen.

Das war aber natürlich nicht der einzige Kontrollverlust-Talk. Der erste war bereits an Tag 1: Contemporary Profiling of Web Users -On Using Anonymizers and Still Get Fucked. Der Talk fängt etwas mau an, steigert sich aber zum Ende hin. Vor allem zeigt sich wieder einmal wie man anhand einer Handvoll Sekundärmerkmale einen eindeutigen „Fingerprint“ einer Person, eines Systems, einer Webseite etc. anfertigen kann. Anonymizer hin, VDS her, die Zeit der Anonymität im Internet ist schlicht und einfach vorbei.

In die selbe Kerbe, aber noch etwas heftiger, schlägt Jeroen Massar mit seinem Vortrag: How the Internet sees you – demonstrating what activities most ISPs see you doing on the Internet. Er schildert die Möglichkeiten und die in ISPs bereits tatsächlich eingesetzten Techniken zum Überwachen der Nutzertätigkeiten. Da kann es einem schon kalt den Rücken runterlaufen und wirkliche Möglichkeiten des Schutzes konnte Massar auch nicht nennen.

Aber kurz zurück zum Jahresrückblick. Der begann nämlich mit einer Erwähnung der Ermittlungen zu der geleakten Kundendatenbank von Thor Steinar, die letztes Jahr während des Kongresses auftauchte und im 26c3Wiki verlinkt war. Namen, Adressen, Bezahlinformationen – personenbezogene Daten at it’s best. Der Saal lachte, als das Podium anmerkte, dass wohl jetzt auch Nazis Datenschutz einfordern.

Der Kontrollverlust ist gut, solange er die anderen trifft. Der CCC zieht hier überall Grenzen – alte und neue – und Datenschutz ist unfassbar wichtig. Für „die Guten„. Nicht für (vermeintliche) Nazis, nicht für Diplomaten, nicht für Wirtschaftsvertreter, nicht für „die Bösen„. Und bei den Security Nightmares durften wir dann wieder alle über die Bösen und Blöden lachen. Die Anderen. Ha! Geschieht denen nur recht! Lol!

Es ist ja nicht so, als ob sich der CCC nicht mit der Erosion der informationellen Selbstbestimmung auseinandersetzen würde. Er tut es nur auf eine unfassbar unreflektierte und selbstgerechte Art.

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