Fullfeeds, Gewalt und eine Skizze des „Zweiten Markts“

Ich will hier nur ein kurzes Update zum Artikel von Montag geben. Denn gerade ist eine große Diskussion in der so genannten „Blogosphäre“ entbrannt. Ein Streit, der fruchtbar sein kann, wenn man sich ein wenig von alten Denkmustern befreit.

Denn natürlich fädelt sich dieser Streit nahtlos ein in die hysterischen Diskussionen der Verleger um Leistungsschutzrechte und ihrem Schimpfen über „Umsonstkultur“ und ihre Enttäuschung um die faulen, geizigen Leser, die ihnen einfach nicht genug Geld für ihr Schaffen geben wollen. Dieser Streit zeigt sehr schön, dass da kein Blatt zwischen Verleger und Blogger passt, jedenfalls, wenn es um das Jammertal der Monetarisierung geht. Ein Jammertal, das Blogs erst möglich machte, aber zumindest in Deutschland nicht zum monetären Erfolgsmodell wurde. Die Krux mit dem neuen Empowerment des Lesers ist nämlich, dass es durch das Ausleben seiner differenzierten Interessen den Longtail zwar ermöglichte, aber seine Macht, den eigenen Informationshaushalt zu bestimmen, dort noch lange nicht aufhört.

Aber fangen wir vorne an: Basic Thinking, das Exblog von Robert Basic, das von ihm vor einigen Monaten meistrauschend verkauft wurde und seitdem von einem kleinen Team engagierter Redakteure betreut wird, macht sich daran, seinen Feed zu beschneiden – dass heißt: nur noch eine gekürzte Version anzubieten.

„Frage: Warum kürzt ihr den Feed?

Antwort: Es hat einen ganz einfachen Grund. Basic Thinking muss sich früher oder später über Werbung refinanzieren. Im Feed wird die Werbung aber nicht angezeigt. Deshalb ist uns natürlich daran gelegen, dass die Besucher die Posts auf unserer Seite lesen – und eben nicht komplett über RSS.“

Der Feed – zur Erklärung – stellt den Inhalt des Blogs in einem standardisiert-strukturiertem Format bereit, ganz ohne Formatierung und Designvorgaben. Ein beliebtes Format dafür ist RSS 2.0. Dies macht es möglich, dass spezielle Software – der Feedreader – diese verschiedenen Feeds miteinander aggregieren kann (auch dieses Blog hat einen solchen RSS-Feed). Das Resultat ist dann ein Strom von chronologisch sortierten Artikeln, die unabhängig von ihrer Herkunft einheitlich im Reader untereinander stehen und vor Ort konsumiert werden können, etwa so, wie man seine Mails im Mailprogramm liest.

Diese Technologie erleichtert das Lesen von verschiedenen Quellen so ungemein, dass die Aufnahmefähigkeit des Lesers um einige Faktoren steigt. RSS ist eines der wichtigsten Revolutionen der Umverteilung der Macht über die Aufmerksamkeit vom Autor zum Leser und eine der ersten Evolutionsstufen des mentalen Exoskeletts.

Einen Feed anzubieten ist also ein Kontrollverlust. Ich gebe damit meine Inhalte frei und überlasse es dem Leser, in welchem Kontext, mit welcher Schriftformatierung, in welcher Farbe und vor allem auch in welcher Nachbarschaft von anderen Feeds er sie konsumiert. Basic Thinking fordert jetzt diese Kontrolle von seinen Lesern zum Teil zurück. Wenn Basic Thinking jetzt also seinen Feed beschneidet, werden sie über kurz oder lang aus vielen Feedreadern raus fliegen, wie viele Leute in den Kommentaren angekündigt haben.
 
Der Informationsmarkt: ein Käufermarkt?
 
Jetzt sind einige enttäuscht, von dieser „Undankbarkeit“ Leser, die der Arbeit entgegengebracht wird. Franz Patzig ebenfalls:

„Liest man sich allerdings die Kommentare durch, wollen gleich wieder eine ganze Menge Leser der Seite den Rücken kehren. Die Reaktionen finde ich beschämend. Guter Content ist scheinbar nichts wert. Allerdings frage ich mich dann auch, warum er gelesen wird.“

Felix Schwenzel entgegnet darauf richtig:

„undankbare leser? wer liest den zeitungen oder weblogs aus dankbarkeit?“

(Außer taz-Leser, möchte ich hinzufügen.)

Nein, man liest nicht aus Dankbarkeit, sondern weil einen die Informationen – jetzt kommt’s – mehr wert sind, als die Aufmerksamkeitsaufwendungen, die man dafür erbringen muss.
Der in diesem Zusammenhang von vielen zitierte John Gruber postuliert daher vollkommen fehl:

„A reader asking for a full-content RSS feed is a reader who wants to pay more attention to what you publish.“

Er könnte falscher nicht liegen. Nein, jemand, der nach einem Fullfeed fragt, will eben nicht mehr Aufmerksamkeit in die Inhalte investieren, er will weniger Aufmerksamkeit investieren, denn das ist es, was ein Fullfeed tut. Er verringert die Menge an Aufmerksamkeitsarbeit, die man pro Information investieren muss, als wenn man gezwungen ist, jeden abgeschnitten Artikel extra anzuklicken, um ihn im Browser zu öffnen.
Marcel Weiß rechnet vor:

„Ein Feedleser liest am Tag mehr als einen Artikel. Das Klicken bedeutet mehr Aufwand pro Artikel. Täglich. Es ist nicht ein Klick. Es sind Dutzende, oder gar Hunderte Klicks täglich, wenn alle Artikel im Feed nur angerissen wären und man sie lesen wöllte.“

Meine eigene Erfahrung ist, dass der gekürzte Feed zwar meist noch länger im Reader weilt, aber dort ein Schattendasein ohne Beachtung erfährt. Erst viel später, bei Aufräumarbeiten, wird der Feed dann endgültig entsorgt. Die andere Erfahrung, die ich machte, ist die, als ich meinen Feed von verstümmelt – was er die meiste Zeit war – auf Fullfeed umstellte: Auf einen Schlag verdreifachten sich die Abonnenten.
Der Informationswert bemisst sich schon lange nicht mehr in Geld, sondern an der Zeit, die ich der Information an Aufmerksamkeit zu schenken bereit bin. In einem hoch kompetitiven Aufmerksamkeitsmarkt verläuft schon dort die Grenze zwischen Noise und Message. Und genau das ist der Grund, warum es bald keinen monetären Markt für Information mehr geben wird.

Weiß dagegen argumentiert hier, dass der Informationsmarkt eben ein Käufermarkt sei:

„Die Aufmerksamkeitsökonomie, die im Internet entsteht, ist von der Verteilung der Machtverhältnisse her ein Käufermarkt. In Käufermärkten verschiebt sich die Marktmacht sehr stark hin zum Käufer. Neben den digitalen Kostenstrukturen ist dies unter anderem der Grund für das, was Laien abschätzig und missverstehend ‘Umsonstkultur’ nennen: aus kompetitiven Gründen sehr niedrige Preise, die oft bis auf Null gehen.“

Das ist zu kurz gedacht. Weiß versucht krampfhaft, den Aufmerksamkeitsmarkt als Teil des normalen, monetären Marktes zu sehen. Wie so viele. Ich glaube, die meisten von ihnen müssen das so sehen, denn sie glauben, das sei die einzige Grundlage, ihr zukünftiges Überleben zu sichern: die Rückführung der Gewinne aus dem Aufmerksamkeitsmarkt in den monetären Markt. So wie es Gruber für die gewonnene Aufmerksamkeit verspricht: „There have to be ways to thrive financially from that.

Das mag noch und im englischsprachigen Raum (= ca. 4 bis 5-fache Grundgesamtheit an möglichen Lesern als im Deutschen) möglich sein, aber alle Parameter weisen in eine andere Richtung. Und das Denken dahinter ist jetzt schon widersinnig.
 
Der Zweite Markt
 
Sie alle werden die Kontrolle verloren haben. Es gibt schon jetzt kaum noch eine Kopplung des Informationsmarkts mit dem Aufmerksamkeitsmarkt. Es sind weit gehend von einander getrennte Märkte. Der Aufmerksamkeitsmarkt – von Georg Franck noch als eher thesenhaft zusammengefasstes Randphänomen der Mediengesellschaft beschrieben – hat sich machtvoll in unser aller Realität erhoben und zeitigt echte gesellschaftliche und immer krassere ökonomische Effekte. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit führt ein eigenständiges Leben und entwickelt sich langsam zum Zweiten Markt.

Felix Schwenzel ist es schließlich, der der Käufermarkttheorie und allen Monetarisierungsphantasien den Garaus macht:

„ehrlichgesagt finde ich ich, dass es genau umgekehrt ist. ich bin dankbar für jeden leser, dankbar für jeden der mir seine aufmerksamkeit schenkt und vielleicht sogar das, was ich mache, schätzt. dafür bin ich bereit einiges zu tun.“

Besser kann man gar nicht ausdrücken, dass man sich hier mitnichten mehr im Bereich des klassischen, monetären Marktes befindet. Dort, wo ein Anbieter bereit ist, sogar drauf zu zahlen, um seine Information leisten zu können, nur damit er die Aufmerksamkeit bekommt, stehen wir außerhalb aller Gesetze der klassischen Ökonomie. Ein Marktpreis von Minus X €, der auch noch bezahlt wird, ist nach allen ökonomischen Regeln ein Ding der Unmöglichkeit. Die Aufmerksamkeitsökonomie verabschiedet sich langsam aber sicher von der klassischen, alle Schnittstellen werden brechen – und: ich nehme mich da nicht aus. Ich habe lange Geld dafür bezahlt, ein Blog zu schreiben, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, da jemals Geld mit zu verdienen. Und tue es immer noch.

Der Grund, warum Informationen also auf Dauer keinen monetären Wert haben werden, ist, dass jede Information, die gerne auf dem ersten Markt ein zu bezahlendes Angebot sein möchte, gleichzeitig im Zweiten Markt ein Aufmerksamkeitsnachfrager ist. Es tritt das ein, was Ökonomen einen „Externen Effekt“ nennen, einen Effekt, der nicht aus dem Markt selbst, sondern von außerhalb auf das Preisgefüge drückt. Und da sich auch in Zukunft die Tools zum effizienten Strukturieren der Information für den Leser verbessern werden und weil auch in Zukunft die Zahl der Sender und die Menge ihrer Informationen steigt und weil die Filter deswegen immer strenger und genauer – ja, hochauflösender diskriminieren, wird der Wettkampf um Aufmerksamkeit weiter steigen. Der Aufmerksamkeitspreis im Zweiten Markt übersteigt schon jetzt stellenweise den des monetären Marktes und hebt ihn auf diese Art mehr als auf!

Aber wie gesagt: die Frage des Senders ist irrelevant. Ob wir heute noch ein paar Cent mit Informationen verdienen und ob wir sie morgen oder übermorgen nicht mehr verdienen, ist schlichtweg uninteressant. Die Frage der Zukunft ist nicht die Frage des Senders, sondern die Frage des Empfängers.

Deswegen hier ein paar Ansätze, die sich eben dort, beim Entmachten der Sender, positioniert haben:

1. Googles Anzeigengeschäft funktioniert folgendermaßen: Im Gegensatz zu den Inhalteanbietern generiert Google keine Aufmerksamkeit, um sie dann in Form von Anzeigen zu verkaufen, sondern sie tun das genaue Gegenteil. Google spart dem Leser Aufmerksamkeit beim Auswerten externer Quellen – Aufmerksamkeit, die Google dann zum geringen Teil mit Anzeigen wieder abschöpfen kann.

Indem Google die besten und innovativsten Tools anbietet, meinen eigenen Informationsstrom selbstbestimmt zu filtern und zu lenken, bietet es mir meine eigene, frei werdende Aufmerksamkeitszeit feil. Die Suche, der Googlereader, GoogleMail, GoogleMaps, GoogleNews, all diese erfolgreichen Dienste machen vor allem eins: sie sortieren, ordnen und filtern meine Information passgenau und besser als alle Konkurrenzprodukte, was mir mehr freie, jedenfalls mehr selbst definierte, Aufmerksamkeitszeit schenkt. Die nun emittierte Aufmerksamkeitszeit kann nun in Ruhe von Google abgeschöpft werden.
 
Google, der Robin Hood der Aufmerksamkeit
 
Insofern ist Google tatsächlich ein Nagel zum Sarg der Verlage. Allerdings anders, als gemeinhin kolportiert wird. Google nimmt den Verlagen Aufmerksamkeit nicht weg, um sie für sich selbst zu verwenden, sondern es schenkt sie dem Leser zurück. Tools wie Reader und News helfen dem Leser seine Aufmerksamkeit gewinnbringender zu kanalysieren. Und genau das weitet den Kontrollverlust der Verlage aus. Während eine gedruckte Zeitung in einem Stück mit ein paar interessanten Meldungen und viel uninteressanten Kram ausgeliefert wurde, wählt der Leser, dank der Tools sehr genau das aus, dem er seine Aufmerksamkeit schenkt. Den Aufmerksamkeitsüberschuss kann Google nun zu einem gewissen Grad abschöpfen. Der Aufmerksamkeitsgewinn ist aber ja nur ein kurzfristiger. Deswegen ist Google derart innovationsgetrieben. Sie müssen immer bessere und effektivere Tools anbieten, um den Leuten diesen Effizienzgewinn wieder mit Werbung abkaufen zu können.

2. Das zweite Beispiel ist Twitter: „Warum 140?„, fragte ich letztens bei Twitter, natürlich wissend, dass Twitter damit auf die SMS zielte und noch 20 Zeichen Platz für Steuerbefehle und Usernamen brauchte. Mich interessierte aber viel mehr, warum gerade dieses Beschneiden der publizistischen Freiheit im Internet so erfolgreich ist. Zwar habe ich mit Twitkrit immer schon dem ästhetischen Mehrwert dieser Zeichenbegrenzung gefrönt, aber das reicht natürlich nicht aus, den Erfolg des Phänomens zu erklären.

Indem der Sender auf 140 Zeichen beschränkt ist, kann ich als Leser viel mehr unterschiedliche Informationsstreams abonnieren, als es bei Blogs der Fall ist. Und die einzelnen Streams können in viel kürzerem Abstand und viel häufiger berichten. Die schnelle Erfassbarkeit, die gute Scanbarkeit – kurz: die geringen Aufmerksamkeitskosten erlauben einen hohen Informationsdurchsatz und eine bessere Filterbarkeit. (Hinzu kommt das hier und hier bereits ausgiebig besprochene Followerprinzip.)
 
Warum ein System dominieren, wenn man es stürzen kann?
 
Und jetzt werde ich noch kurz anreißen, warum ich glaube, dass Google und Twitter in erster Linie in dem neuen, dem Aufmerksamkeitsmarkt agieren und vermutlich gar keine Lust haben, im normalen, monetären rumzuwurschteln: Warum ein System dominieren, wenn man es stürzen kann?

Denn der zweite Markt wird immer größer und immer mächtiger. Schon heute ist er nirgends mehr zu übersehen. Und er besitzt weit aus mehr Macht, als er Geld hat. Eine Macht, die sich davon entkoppelt hat, in Geld gemessen zu werden. Sie wird vermutlich niemals finanziell groß auf dem ersten Markt reüssieren und dennoch wird sie ihn massiv angreifen und partiell vernichten. Google verwandelt ständig alle monetarisierbare Information in nichtmonetarisierbare, also reine Aufmerksamkeitsnachfrager. Und Google tut das, indem sie die Information leicht erreichbar und maschinenlesbar ordnet. Ich glaube nicht, dass dies ein Marketingspruch ist; Google versteht sich tatsächlich selbst in erster Linie nicht als Werbevermarkter (wie Christoph Kappes das analysiert hat), sondern als Player auf diesem Zweiten Markt:

„Das Ziel von Google besteht darin, die auf der Welt vorhandenen Informationen zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen.“

(Übrigens machen sie das auch, indem sie praktisch die gesamte Social Media-Innovationsszene antreiben (gibt überhaupt noch andere ernst zu nehmende Exitstrategien, als von Google gekauft zu werden?)).

Doch das Google-Modell ist nicht auf die Ewigkeit ausgelegt. Irgendwann überschreitet jede Werbung die zu akzeptierenden Aufmerksamkeitsgrenzkosten (die ja permanent sinken) und dann gibt es für Werbung – und für jede Form der Monetarisierung nur noch einen Weg: Gewalt! (Formely known as „Dankbarkeit eintreiben„.)

(Na gut, oder – bisweilen sogar sympathisches – Bitten und Flehen. Die taz gibt es ja auch immer noch – und wer weiß, wie viele Verlage die taz mit diesem Modell noch überleben wird.)

(Original erschienen auf der Website von FAZ.net)

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Ein Kommentar zu Fullfeeds, Gewalt und eine Skizze des „Zweiten Markts“

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