Warum wir eine Netzinnenpolitik brauchen

Gestern saß ich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung auf einem Panel über Hate Speech und was wir dagegen unternehmen können. Ich hatte mir einige Vorschläge und Argumentationen zurechtgelegt, dabei aber nicht so recht bedacht, dass meine Mitdiskutant/innen ja vor allem SPD-Politiker/innen sein werden. Dass also erst einmal die Grundbegriffe geklärt werden müssen und worüber wir überhaupt reden.

Ich habe dennoch meine Forderung nach einer Netzinnenpolitik anbringen können. Was meine ich damit?

Die deutsche Netzszene hat sich formiert als zivilgesellschaftliche Verteidigung der Netzfreiheit gegenüber den Regulierungsbestrebungen der Politik. Überspitzt kann man formulieren, dass Netzpolitik die Selbstverteidiung des Netzes gegenüber seinen äußeren Feinden ist. Das war und ist eine wichtiger Kampf und er muss auch weiterhin gefochten werden. Doch wir haben nicht mehr 2009 und dieser Kampf wird zunehmend überschattet von internen Effekten und Phänomenen eines in der Zwischenzeit enorm gewachsenen Netzes.

Das Netz ist jetzt überall und kennt kein richtiges Außen mehr (gut, bis auf SPD-Politiker/innen …) und immer größere und wichtigere Kämpfe finden bereits intern statt. Dort geht es aber nicht mehr um SPD gegen CDU (haha!), sondern zum Beispiel um die Maskulinistische/Antifeministische Szene gegen Feminist/innen. Um Mißverständnisse von Nichtkennern zu vermeiden: dieser Kampf geht weit über die alltäglichen Twitterscharmützel hinaus, sondern hat mit #Gamergate globale Ausmaße angenommen. Es ist ein weltweiter Kulturkampf und er findet mittlerweile in allen möglichen kulturellen und diskursiven Teilbereichen statt, z.b. auch in der Science Fiction Szene. Aber auch dieser antifeministische Backlash ist nur ein Beispiel von vielen. Die Debattenfrontstellungen im Netz zu Ukraine vs. Russland stehen in ihrer Größe und Heftigkeit diesem Konflikt zumindest hierzulande kaum nach. Auch weil sie teils mit viel Geld gestützt, bzw. gesteuert werden. Wir haben die Pegida/Legidia/Hogesa/Dinsgadabumsda-Rassisten, die sich auf Facebook und Blogs mit allerlei Verschwörungstheorien ihre Rassistische Weltsicht zurecht spinnern. Dazu die Reichsbürger/innen und Verschwörungstheoretiker/innen und Antisemit/innen der Mahnwichtel. All diese Gruppen überschneiden sich vielfältig, sind aber nicht identisch. Und es werden immer mehr und sie werden immer schlagkräftiger.

Da von dem weiteren Wachstum des Netzes und der Vielfältigkeit seiner Verbindungen (und damit seiner Konflikte) auszugehen ist, traue ich mir hier ein paar Prognosen zu: die Konflikte der Zukunft finden nicht mehr zwischen Staaten statt, sondern zwischen Weltanschauungen. Aber anders als bei der Blockkonfrontation des kalten Krieges werden die Weltanschauungen nicht mehr durch geographische Grenzen beschreibbar, sondern die Fronten ziehen sich global durch alle Gesellschaften. Es werden sich nicht mehr zwei Weltanschauungen gegenüberstehen, sondern hunderte, vielleicht tausende parallel. Sie werden nicht in einem Wettrüsten der Systeme, sondern in kleinen Scharmützel nebenher oder großen Shitstorms zwischendurch ausgetragen werden. Und sie werden nicht befriedet werden können, weil keine Seite der anderen ihren Willen aufzwingen kann und weil die Konfliktparteien einander immer referenzierbar bleiben werden.

All das zeigt, dass dass wir die Probleme um Hate-Speech um ca. 100 Größenordnungen zu klein denken. Es sind keine Probleme die irgendein Staat mit irgendeiner Verschärfung irgendeines Gesetzes in den Griff bekommt. Es sind interne Probleme eines globalen und zu den Individuen hinunterdiffundierten Netzdiskurses und sie können somit auch nur mit den Mitteln des Netzes adressieret werden.

Was wir brauchen ist eine Netzinnenpolitik.

Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die Plattformbetreiber ein. Die Forderungen, Twitter möge doch bitte deutlicher und schneller eingreifen bei Belästigung und Angriffen, ihre Tools zum Blocken und Muten doch bitte den Wünschen potentieller Opfern entsprechend anpassen und verbessern sind nicht neu und sie sind der richtige Weg. Aber ich glaube, das reicht nicht.

Es kann auf Dauer nicht funktionieren, die Plattform sowohl der maskulinistischen Szene, als auch die der Feminist/innen zu sein. Ja, ich zweifele hier das Konzept der Neutralität der Plattform an. Ich glaube, das ist auf Dauer nicht machbar.

Die Probleme, die diese Konflikte aufzeigen – das merkte man auch deutlich auf der Tagung gestern – sind eben nicht in erster Linie normative. Natürlich sind Vergewaltigungs- und Morddrohungen sowie Beleidigungen ein großes Problem. Aber dagegen gibt es bereits nationalstaatliche Gesetze. Und auch wenn man die Rechtsdurchsetzung hier sicher verbessern kann, machen wir uns selbst etwas vor, wenn wir glauben, dass alles gut würde, wenn die Maskus anfangen, ihre Handlungen im Rahmen des Strafgesetzbuches organisieren (was sie größtenteils eh schon tun). Die Maskus sind nicht nur als Harasser ein Problem, sondern als politische Gruppe, als giftige Ideologie.

Deswegen glaube ich, dass man diese Probleme nicht normativ (im Sinne von gewünschtem und nicht gewünschten Verhalten, egal ob im Strafgesetzbuch oder in den Terms of Service) lösen kann, sondern dass man sie politisch beantworten muss. Politisch, im Sinne von „eine Haltung zeigen“ und sie durchsetzen.

Facebook und Twitter könnten sich zum Beispiel zu einem emanzipatorischen Menschenbild bekennen und sagen, dass bestimmte Ideologien dort keinen Platz haben. Das ist auch gar nicht so neu. Gegen Sites des Islamischen Staats und anderen militant islamistischen Gruppen geht Facebook bereits gezielt vor. Klar, auch auf Druck der US-Regierung, aber auch darüber hinaus. Warum nicht auch mit dem selben Eifer gegen Nazi-sites? Warum nicht gegen Pegida? Warum nicht auch Maskulinistengruppen?

Jetzt kommen wieder die Leute, die rufen, dass das ja eine Beschneidung der Meinungsfreiheit bedeutet. Dem will ich nicht völlig widersprechen, denn natürlich ist Facebook ein mächtiges Instrument der Reichweite. Dennoch halte ich einen solchen Schritt für vertretbar. Das Internet ist groß und es gibt noch viele andere Plattformen, auf denen der Content solcher Leute geduldet wird. Und ich bin mir sicher, wenn Pegida Facebook verlassen muss, ziehen ihre Anhänger hinterher. Warum nicht das russische V-Kontakte? Das ist sowieso schon ein wichtiges Vernetzungsinstrument der rechten Szene geworden. Auch Homophobie und sonstige Menschenfeindlichkeit sind dort immer gerne gesehen.

Wofür ich also plädiere ist nicht eine Abschaffung bestimmter Meinungen, sondern eine Ausdifferenzierung der Plattformen nach politischer, weltanschaulicher Haltung. Ich halte eine solche Ausdifferenzierung auf Dauer eh für unumgänglich. Einer der wichtigsten Aspekte eines netzinnenpolitischen Aktivismus wird sein, die strategisch wichtigen Plattformen auf die richtige Seite zu ziehen.

Bis es aber so weit ist, gilt es, soziale Sanktionsmechanismen zu finden, um auf den Plattformen selbst gegen die entsprechenden Auswüchse vorzugehen. Dafür habe ich unlängst die Filtersouveränität als Politik vorgeschlagen.

Netzinnenpolitik muss also auf zwei Ebenen stattfinden: der längst im Gange befindliche zivilgesellschaftliche Kampf um Deutungshoheit und gegen Menschenfeindlichkeit und der langfristig wichtige, strategische Kampf um die Positionierung der Plattformen.

Und dann muss das noch irgendjemand für die SPD-Politiker/innen erklären. Obwohl … Wozu?

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