Filtersouveränität als Politik

Im zweiten Teil meines Buches, in dem ich die Strategien in Zeiten des Kontrollverlusts entwickle, geht es häufig um die sogenannte „Filtersouveränität„. Also die Souveränität zu entscheiden, über welchen Mix von Quellen ich mich informiere aber auch wie ich mich vor unliebsamen Informationen abschotte.

Leider hat in dem Buch eine Strategie der Filtersouveränität keinen Platz gefunden: Die Filtersouveränität als Politik. Das will ich hier – auch aus aktuellem Anlass – nachholen. Der Einfachheit halber nehme ich meine eigene Politik der Filtersouveränität zum Beispiel.

Twitter ist seit 2007 die Schaltzentrale meines gesamten Onlinewirkens. Hier investiere ich nach wie vor die meiste Aufmerksamkeit, hier laufen die meisten Informationsstränge zusammen und hier gebe ich auch die meisten Informationen weiter, die mich bewegen. Auch wenn ich hier und da damit hadere, bleibt Twitter meine Onlineheimat – nein, noch viel mehr: es ist die Erweiterung meines somatischen Nervensystems ins Internet hinein. Jedes Following ist ein Rezeptor, der mir neuronartig Impulse aus dem Informationsstrom sendet, den wir Welt nennen. Jeder dieser Rezeptoren ist einzigartig und reagiert auf verschiedene Informationssarten auf unterschiedliche Weise.

Wie ich folge

Wenn ich jemandem folge, bedeutet das erstmal nur, dass ich mich dafür interessiere, was die Person zu sagen hat. Es bedeutet nicht, dass ich ihrer Meinung bin oder sie gar mag. Natürlich folge ich Freunden (denn mich interessiert, was sie zu sagen haben), dennoch ist Sympathie weder ein hinreichendes, noch ein notwendiges Kriterium. Natürlich hat die Auswahl meiner (aktuell) 775 Followings starke Biases, denn sie spiegeln meine Interessen wieder. Dennoch kann ich sagen, dass sie eine recht großes Spektrum abbilden. Ich folge vielen Leuten, deren Meinungen ich explizit nicht teile. Ich folge zum Beispiel sehr, sehr vielen Datenschützern und Hacker-Aluhüten. Denn das ist der Diskurs, in dem ich stecke und sie haben oft sehr gute Links zu Informationssicherheit und Gesetzesvorhaben und ich interessiere mich für ihre Argumente. Ich folge auch Konservativen bis – aus meiner Sicht – reaktionären Leuten. Ich folge Kai Diekmann. Ich folge zu einem größeren Teil natürlich Linken, bis Linksradikalen. Natürlich folge ich Feminist/innen, Anarchist/innen, sowie Libertären und Kommunisten/innen. Ein, zwei Piraten sind auch noch dabei. Einen neokonservativen Ayn Rand-Fan musste ich wieder entfolgen, das war nicht auszuhalten. Dazu kommen natürlich einige ausländische Twitteraccounts, die meisten aus der amerikanischen Tech-Szene, aber auch Aktivist/innen aus Syrien und Ägypten sind dabei.

Das ist keine komplette Aufschlüsselung der Welt und der möglichen Sichten dadrauf (das kann ein Bewusstsein auch nicht leisten), aber ich finde es ist eine veritable Bandbreite des Meinungsspektrums. Es ist darauf optimiert mittels möglichst unterschiedlicher Rezeptoren, möglichst diverse Sichtweisen und Perspektiven zu einem komplexen Bild der Welt zu aggregieren.

Wie ich blocke

In meinem Buch nenne ich dieses bewusste Aussuchen der eigenen Informationsquellen „positive Filtersouveränität“. Ihr stelle ich die „negative Filtersouveränität“ zu Seite – die Souveränität zu entscheiden, welche Informationen ich nicht an mich heranlassen will. Das sind natürlich zunächstmal die vielen Millionen Twitteraccounts, denen ich nicht folge. Aber im Sinne einer souveränen Entscheidung sind es vor allem die Accounts, die ich blocke.

Auf Twitter ist man leicht jederzeit ansprechbar. Das ist in vielen Fällen toll, senkt die Hürden der Kommunikation und fördert den Austausch; es kann aber ab einer bestimmten Reichweite sehr anstrengend werden. Ich habe regelmäßig auch mit Leuten zu tun, deren Kommunikation mich nicht interessiert, die aber finden, das müsste sie. In einigen Fällen blocke ich die User dann. Das passiert meist bei der ganz normalen Trollerei, kann aber auch – je nach Laune – schon bei unfreundlich vorgetragenen Anliegen passieren.

Es passiert auch sehr häufig bei Ideologien, die ich entschieden ablehne, weil ich sie für menschenverachtend halte. Ich Blocke Leute, die mir mit rassistischen, nationalistischen, oder maskulinistischen oder Homosexuell-feindlichen Argumentationen kommen. Ich rede nicht mit Nazis und ich rede nicht mit Maskus – die Blocke ich wortlos weg, denn ich sehe keinen Sinn darin mit ihnen über irgendwas zu diskutieren. Weder interessiert es mich, was sie zu sagen haben, noch glaube ich daran, dass man diese Leute aus ihrem Muster mittels rationaler Argumentation herauslösen kann. Das einzige, was man tun kann, ist diese Menschen auszugrenzen, so gut es eben geht – auch wenn das immer schwieriger wird.

Man kann also festhalten: Beides, das Folgen und das Blocken sind in der Praxis bereits Politiken der Filtersouveränität. Jedes Folgen und jedes Blocken ist auch ein politisches Statement und es ist wichtig, sich das bewusst zu machen. Sie sind (kleine) politische Entscheidungen und sie haben (kleine) politische Auswirkungen. Sie summieren sich auf in eine persönliche und durch und durch politisch durchwirkte Informationsinfrastruktur.

Ethik des (Nicht-)Teilens

Leitmedium hat in einem bemerkenswerten Blogpost einmal die Ethik des (nicht)Teilens vorgeschlagen, die – wie ich finde – sehr mit der Filtersouveränität als Politik kompatibel ist. Er findet, es liegt eine unterschätzte ethische Verantwortung darin, welche Inhalte man teilt, also weiterverbreitet und welche nicht. Dass beispielsweise die Nacktfotos von den Prominenten 2014 erhackt wurden ist ohne Frage ein Verbrechen. Diese Fotos aber weiterzuverbreiten, weil sie einem in den Stream rutschen, ist ebenfalls moralisch zu verurteilender Akt, dem sich viele nicht bewusst sind.

Denn hier wird die persönliche Informationsinfrastruktur politisch in einem übergeordneten Sinne. Um sich das zu vergegenwärtigen ist es wichtig, sich seine eigene Stellung als Knoten in einem Netzwerk vorzustellen. Denn meine Twitterverfolgungen sind nicht nur die ins Internet erweiterten Rezeptoren meines somatischen Nervensystems, sondern ich bin ja – umgekehrt – ebenso der Rezeptor vieler tausend anderer Nervensysteme. Und als dieser Rezeptor stehe ich jedes mal vor einer ethischen Entscheidung eine Information weiterzugeben, oder es eben nicht zu tun. Diese Verantwortung ist immanent politisch; und gerade mit dem Blick auf das große Ganze – das Netzwerk – steckt in ihr die Möglichkeit einer weiteren Politik.

Die Politik der aktiven Ausgrenzung

„Don’t feed the trolls“ ist der übliche Ausspruch, den man zum Umgang mit Störkommunikation zu hören bekommt. Er ist uralt und er ist nach wie vor auch nicht komplett falsch. Man macht die Sache nie besser, wenn man anfängt mit Trollen zu diskutieren. Aber „Don’t feed the trolls“ reicht schon lange nicht mehr aus. Einerseits hilft einfaches Ignorieren in vielen Fällen nicht mehr aus, andererseits können beispielsweise Hetzjagden und Verleumdungskampagnen dem/der Betroffenen auch über Bande enormen Schaden zufügen.

Und hier sind wir bei „Don Alphonso“. Don Alphonso kann man nicht ignorieren, denn er verbreitet regelmäßig Lügen, Verleumdungen gegen bestimmte Personen und veranstaltet regelrechte Hetzjagden auf Linke und Feministinnen. Ich hab das mal an einem Fall exemplarisch herausgearbeitet.

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch. Die Welt und das Netz wären ein besserer Ort ohne ihn. Solche Leute zu ignorieren, nicht mit ihnen zu sprechen, ist sicher sinnvoll. Aber es hält sie nicht davon ab, das zu tun, was sie tun. Nun ist Don Alphonso aber nun mal da und wir müssen mit der Situation umgehen. Es müsste eine Möglichkeit geben, seine Wirkung im Netz zu reduzieren.

Und zu diesem Zweck habe ich mir das Konzept der „aktiven Ausgrenzung“ ausgedacht. Sie fußt einerseits auf Leitmediums Ethik des Nichtteilens und kombiniert sie mit der Filtersouveränität. Es ist eigentlich eine einfache Policy: Ich entfolge allen, die Don Alphonsos Inhalte teilen, seien es Retweets, Links auf seine Texte, alles. Don Alphonso-Content wird von mir zum Tabu erklärt, auch dann, wenn er mal etwas zustimmungsfähiges schreibt. Dieses Tabu muss hin und wieder natürlich öffentlich proklamiert werden und das Entfolgen muss vor allem auch konsequent durchgesetzt werden.

Und nein, das ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit: Es heißt nicht, dass man Don Alphsono nicht lesen darf. Man darf ihm auch zustimmen. Aber wer seine Inhalte öffentlich teilt, ist eben – bei mir – raus. Zudem beschränke ich das aktive Ausgrenzen auf nur wenige, extreme Quellen. Ich halte auch die BILD und Fefes Blog für dumm und arschlochhaftig. Leute, die diese Medien konsumieren und Teilen kann ich schwerlich ernst nehmen und denke mir meinen Teil. Aber sie fallen nicht unter meine Policy. Die Policy gilt für Don Alphonso, den Faschos von der Zusecrew bei den Piraten und dann noch für NPD, AFD, PeGiDa, Pro Deutschland und alle anderen Rechtspopulistischen bis nationalsozialistischen Verbände und Parteien. (Aber bei denen ist das sowieso klar und weitestgehend Konsens.)

Ich praktiziere diese Policy jetzt seit etwa einem Jahr und sie durchzusetzen ist oft hart, man verliert dadurch einige liebgewonnene Followings. Aber sie ist auch effektiv. Nicht nur, dass viele diese Policy ebenfalls für sich reklamieren und umsetzen, die Wirkung ist insgesamt spürbar. In meiner Timeline waren Don Alphoso-Links lange Zeit praktisch verschwunden. Ich kann nicht sagen, ob sich das bei Don Alphonso auch zahlenmäßig bemerkbar macht (ich würde es mir wünschen), aber darum geht es nicht in erster Linie. Schaut man in seine Replys an, kommen die jetzt schon fast nur noch von Maskus und den Zuse-Faschos. Er wird mittlerweile von fast allen intelligenten Menschen ignoriert. Klar, das hat er sich größtenteils zwar selbst zuzuschreiben, aber ja, das führe ich auch auf die Politik der aktiven Ausgrenzung zurück.

Bis vor kurzem klappte das auch ganz wunderbar, bis – und hier kommt der aktuelle Anlass – gestern eine Diskussion dazu auf Twitter entbrannt ist. Einige meinten leider die Policy aus Prinzip (wahrscheinlich weil: Meinunsfreiheit!!11) herausfordern zu müssen. Das ist schade. Ich wünsche mir einen breiten Konsens – egal ob Post-Privatier/in, Datenschützer/in, Hacker/in, Netzaktivist/in, Netzgegner/in, Journalist/in, Blogger/in oder Bildzeitungsleser/in, dass wir – genau so wenig, wie wir die NPD verlinken würden – nicht Don Alphonso verlinken. Und zwar egal was er schreibt. Oder wie ich es gestern auf Twitter ausgedrückt habe:

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16 Kommentare zu Filtersouveränität als Politik

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