Reihe: Managing Ctrl-Verlust

Managing CRTL-Verlust„. Diese merkwürdig anmutende Wendung sehe ich immer wieder – gerade jetzt zum Beispiel auf meinem Bildschirm, während ich diese Zeilen tippe. Denn so ist das Backend-Interface betitelt, mit dem ich die Inhalte dieses Blogs „manage„.

Doch – sobald sich die Ironie und die offensichtliche Komik dieses Schnippsels gelegt hat, macht mich diese Aufforderung – denn so kann man sie lesen: als Imperativ – gelegentlich auch etwas nachdenklich. Denn auch wenn wir die Tatsache des CTRL-Verlustes voll und ganz anerkennen, wenn wir vor ihm kapitulieren, gewissermaßen, gilt es ja dennoch mit ihm umzugehen.

Wir, als Menschen, sind es gewohnt uns zu überlegen, wie wir mit einer besonderen Situation umgehen. In Debatten kristallisiert sich dann irgendwann heraus, wie ein solches Umgehen aussehen könnte. Diesen Prozess nennen wir für gewöhnlich Politik oder Willensbildung. Das passiert allenthalben im Netz. Gerade die viel bescholtene „Selbstreferenzialität“ der Blogs ist in Wirklichkeit das: das stetige Aushandeln von Werten durch Diskurse. Doch der politische Diskurs über das Internet findet nicht nur im Internet statt. Das Internet wird immer mehr auch Diskussionsgegenstand der klassischen öffentlichen Debatten. Das ist gut, aber selten schön anzuschauen. Und es birgt gefahren für das Netz.

Es ist aber naiv, hier und heute diese Willensbildung auszublenden. Die Veränderungen sind tiefgreifender und sozialer Natur und schon heute zerbrechen sich etliche Menschen darüber den Kopf, wie unser Umgang mit all den neuen Prämissen des Internets aussehen könnte. Der Diskurs mag dem einen oder anderen nicht recht behagen, mir tut er das gewiss nicht, aber er wird schon geführt und in Zukunft noch intensiver geführt werden. Und er muss auch geführt werden.

Man sieht also, auch ich werde an diesem Diskurs nicht vorbei kommen und es gibt eine ganze Reihe gewichtiger Gründe, warum es Zeit ist, sich daran zu beteiligen. Nicht nur für mich, sondern für viele von uns, die wir im Netz leben.

Dies soll der Auftakt zu einer Reihe sein, in der ich genau das tue. Die Probleme, die sich aus dem Spannungsfeld gesellschaftlicher Normierung und den Freiheitsgraden des Internets ergeben sollen aufgezeigt und genauer analysiert werden. Alles unter der Prämisse: Welche politischen Prozesse braucht das Internet, welche sind überhaupt möglich, welche sind schädlich und wie lassen sie sich realisieren?
 
Im ersten Teil will ich mich mit der inzwischen mythischen Schlacht der Netzbewohner gegen #Zensursula befassen und dort die tiefer liegenden Probleme freilegen. Die Diskussion kannte einen konkreten Feind und dazwischen eine Masse wenig informierter Menschen. Dementsprechend wurden die Diskussionen geführt wie sie geführt wurden und das war damals sicher richtig so. Ich will aber etwas tiefer in die Probleme von Netzsprerrungen aus einer theoretischen Perspektive eintauchen und die Notwendigkeit der Netzneutralität daraus herleiten.

Im zweiten Teil geht es darum, diese Diskussion auf eine neue Abstraktionsstrufe zu heben und zu generalisieren und sie so auf andere Themen portierbar zu machen. Die Probleme, mit denen wir uns jetzt schon im Ansatz und – meiner These nach – in Zukunft verstärkt auseinander setzen müssen, sind nämlich im Netzsperrendiskus bereits angelegt. Sie müssen aber in einen allgemeineren Rahmen gefasst werden, um auch die Auswüchse von Regulierungen und Willkür, die sich heute in anderen Layern des Internets (wie zum Beispiel Facebook, Apple Appstore, etc) ausbreiten, reagieren zu können.

Im dritten und letzten Teil möchte ich die Grundzüge einer Politik und die möglichen Spezifikationen gesellschaftlicher Schnittstellen im Netz insgesamt diskutieren und sie vor allem in die Zukunftprojizieren . Welche Modelle sind dort denkbar? Wie viel Politik ist überhaupt machbar und wünschenswert? Wie muss eine Politik aussehen, die es vielleicht mit anderen Mandatsträgern zu tun hat, als Menschen? Wird das, was wir brauchen, überhaupt noch auf den Namen „Politik“ hören?
 
Die Grundprämisse des Kontrollverlusts und meine theoretischen Überlegungen dazu, sollen als Grundlage dieser Analysen dienen. Denn es wird keinen Weg zurück geben. Deswegen ist elegisches Lamentieren über erodierende Werte, Institutionen, Kulturtechniken und andere vermeintliche Errungenschaften nicht nur müßig, sondern kontraproduktiv. Es gilt die Situation schonungslos zu erfassen und sich emanzipative Strategien zu entwickeln, die den CTRL-Verlust managen, ohne ihn rückgängig machen zu wollen.

Das ist keine utopische Forderung, sondern pragmatische Notwendigkeit. In diesen Zeiten ist nichts radikaler als der Realismus.

(Original erschienen auf der Website von FAZ.net)

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4 Kommentare zu Reihe: Managing Ctrl-Verlust

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