Als mich vor etwas über einem halben Jahr jemand auf die „Post-Privacy-Bewegung“ ansprach, musste ich kurz auflachen. Seit etwas über einem Jahr beschäftige ich mich mit dem Kontrollverlust. Etwas länger schon knabbert Christian Heller an der Idee der Post-Privacy. Wir? Eine Bewegung? HAHA!
Ich kann mich noch gut erinnern, als Christian auf dem 25c3 in Berlin das erste mal über das Thema sprach. Die Nerds, die seinen Ausführungen gelauscht hatten, belächelten ihn freundlich aber nahmen ihn nicht ernst. Eine lustige, abwegige Meinung um das wichtige Thema Datenschutz einmal aufzulockern, so dachte man wohl.
Dieses Blog hier war nie als Post-Privacy-Blog konzipiert. Es entwickelte die Idee des Kontrollverlusts auch über persönliche Daten mehr aus sich selbst heraus. Dementsprechend wurde es nach und nach immer kontroverser wahrgenommen, vor allem aus der Datenschutzecke. Am deutlichsten kulminierte die Auseinandersetzung sicherlich an dem Vortragstext: „Das radikale Recht des Anderen“ über die neue Form der Öffentlichkeit und dem Entwurf einer neuen Informationsethik, der bis heute seine Kreise zieht.
Auf der Openmind, einer Veranstaltung der Piratenpartei letztes Jahr, auf der ich den Vortrag hielt, kam ich das erste Mal mit Leuten in Berührung, die sich diesen Gedanken durchaus verbunden fühlen. Zunächst dachte ich, es wäre nur Interesse an anderen Positionen warum sie mich einluden, aber tatsächlich wurden hier längst eigene Positionen und Gedanken zu dem Thema entwickelt.
Man kann also von einer diffusen Wolke von Leuten sprechen, die ähnliche Gedanken zu dem Thema Privatsphäre haben. Ich weiß nicht wie bewusst sich Constanze Kurz über diese Wolke auf dem 27c3 war, als sie von Post-Privacy-Spacken sprach. Ob sie nur die CEOs von Google und Facebook meinte, Christian und mich, oder ob sie schon aus dem CCC heraus merkte, dass sich da etwas formiert.
Jedenfalls wurde diese Beschimpfung titelgebend für das erste zentrale Projekt dieser Wolke. @fasel war es wohl, der die erste treibende Kraft hinter der Spackeria war. (Ich habe wirklich ganz ehrlich kein bisschen was damit zu tun.) Hier könnt ihr euch ein Interview mit ihm bei Radio Fritz anhören. Hier ist das Missionstatement des Blogs. Und hier ist ein Interview mit Julia Schramm auf Spiegel Online.
Post-Privacy ist ein schwammiges Thema, keine durchdeklinierte Ideologie, eher eine Thesensammlung. Das merkt man an der Heterogenität der Sichtweisen des Blogs durchaus deutlich. Andererseits hat sich hier insgesamt ein eigener thematischer Schwerpunkt geblildet, wie mir scheint:
Die Spackeria ist eher noch ein datenschutzkritisches Blog, als ein theorielastiges Post-Privacy-Blog. Und als solches, wie ich finde, ein noch viel wertvollerer Beitrag zur Debatte. In letzter Zeit – vor allem bei und seit der Debatte um Google Street View – rückt immer mehr in den Blickpunkt, dass der Datenschutz im Angesicht des Kontrollverlust nicht nur versagt, sondern dass er in diesem Versagen teilweise reaktionäre, die Freiheit des Netzes gefährdende Züge annehmen kann und teilweise schon annimmt.
Der niedersächsische Datenschützer will Werbung auf Webseiten aus Datenschutzgründen verunmöglichen, aus der EU droht eine Richtline die das verwenden von Cookies so gut wie unbrauchbar machen könnte, das „digitale Radiergummi“ und der Wunsch nach Vergessen des Internets bedroht die Informationsfreiheit und die Hysterie um Apple, Google und Facebook die „unsere Daten klauen wollen„, greift irrational in dem Medien um sich. Wie ich bereits feststellte, droht der Datenschutz sich gerade vollends lächerlich zu machen und bedroht ohne Frage so langsam das Internet und vor allem sich selbst. Dabei brauchen wir ihn immer noch dringend bei Fragen zur Vorratsdatenspeicherung und dem Schutz des Individuums vor staatlicher Repression.
Diese Auswüchse sind es vor allem, die bei der Spackeria dankenswerter Weise gesammelt und klug kommentiert werden. Dass der Bedarf dafür da ist, sieht man daran, dass Julia Schramm als Mitinitiatorin schon zu aktuellen Themen von Spiegel Online befragt wird.
Eines der Dinge, die auch bei der Spackeria aufpoppten, ist das Projekt Datalove, hinter dem unter anderem Herr Urbach steht. Es ist eine Sammlung von Werten die eine neue Haltung gegenüber Daten ausdrückt: „Data is essential„, „Data must flow„, „Data must be used„, „Data is neither good nor bad„, „There is no illegal data„, „Data is free„, „Data can not be owned„, „No man, machine or system shall interrupt the flow of data„, „Locking data is a crime against datanity„. Ich lese es als ein Versuch eine Gegenideologie zum Datenschutz zu entwerfen: Datenliebe statt puritanischer Datensparsamkeit. (Ich hatte es ja mal mit dem Begriff „Datengroßzügigkeit“ versucht). Jedenfalls eine schöne Idee, die sich gut mit der Ethik des radikalen Rechts des Anderen verträgt, so als Haltung. Datenliebe und Datengroßzügigkeit als neue, propagierte Werte, passen besser zu der kommenden digitalen Gesellschaft, vor allem wenn sie sich freiheitlich begreifen will.
Mir scheint also, dass es heute tatsächlich so etwas gibt, wie eine „Post-Privacy-Bewegung“ und ich sehe sie als wichtiges und gesundes Gegengewicht gegen die immer absurder werdenden Datenschutzauswüchse. Thematisch und inhaltlich wird sich das noch sicher erst noch festrütteln, aber ein Anfang ist gemacht.
Man muss aber auch aufpassen, die andere Seite nicht zu verteufeln. Am Wochenende war ich auf dem Privacy Barcamp in Hannover. Ich kenne seit langem einige – und seitdem noch viel mehr -vernünftige Leute unter den Datenschützern. Sie wissen, dass Datenschutz kein Selbstzweck ist und sind offen für Kritik, bzw. sehen selber hier und da Bedarf für profunde Datenschutzkritik, um der Regelungswut entgegenzutreten. Leider herrscht dort aber auch immer schnell ein Bedürfnis nach Einigkeit und die Angst vor Spaltung, was in dieser Hinsicht lähmend sein kann. Die Spackeria kann dazu beitragen, diese Konflikte aufzubrechen und offener auszutragen.
Wir brauchen eine kritische Datenschutzdebatte und ich habe das Gefühl, dass sie gerade erst beginnt.
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